Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 11. Juli 1929 – 16. Juli 1926


Halsspezialist. Dr. F. konstatiert starke Entzündung bis in die Luft¬
röhre. Behandlung dringend geboten. Pinselt mit Lapis. Furchtbarer Abend.
38.2 Temp.

12.7. Elendes Befinden. A. täglich 2mal bei mir. Rührend lieb.

13.7. Zum Dr. Fischer, dann wieder zu Bett. A. Früh und Abend bei mir.
(Mich mit Herry zerkracht.)

14.7. A. teilt mir mit, dass O. gestern Früh operiert wurde. Dora hat
telefoniert, dass es ihr gut geht. Er sieht schlecht aus. Jedes Mal,
wenn man froh ist, dass er sich erholt hat, kommt wieder was. Er behaup¬
tet zwar, es rege ihn gar nicht sehr auf, aber ich glaube es nicht. Hof¬
fentlich geht es ihr bald wirklich gut. Mir tut jeder Mensch leid,
der sich operieren lassen muss.

Heute aufgestanden. Hals etwas besser, aber sehr schwach.

Nachm. Anna bei mir Abend allein, zeitlich zu Bett.

15.7. Franz Hofmannsthal, Hugos ältester Sohn, durch Selbstmord geendet.
Welch eine Jugend, welch ein Welt! Er hatte keine ihm zusagende Stel¬
lung, also – Schluss.

Nachm. bei Dr. Fischer, gegen Abend A. Er sieht viel schlechter aus.

16.7. Hugo v. Hofmannsthal tot. Er war im Begriffe zum Begräbnis seines
Sohnes zu gehen, von einem Gehirnschlag getroffen zusammengesunken. Be¬
wusstlos, nicht mehr erwacht.

A. sieht elend aus. Er ist auf das Tiefste ergriffen. Bei all meiner
ehrlichen Erschütterung und Trauer um Hugo sind alle meine Gedanken und
Sorgen nur um A.

Hugo war der ferne Märchenprinz meiner Mädchenjahre, obwohl wir uns auch
manchmal sehr nahe waren. A. sagt, man steht eigentlich in einem fort¬
währenden Kugelregen, jeden Augenblick kann man tötlich getrof¬
fen werden.