Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 27.–30. April 1929


schaft, gewöhnlich in doppelter Bedeutung. Herrliches Essen, wundervoll
gedeckter Tisch, 2 Diener servieren. Bruchteil einer Konversation;
Prof. Tandler: »Warum gibts kein Scholet?« – Kunsthistoriker Grinschitz:
»Was ist Scholet?« – Julius Bauer: »Sind Sie ein waschechter Goi?« -
Grimschitz: (lachend) »Ja, ganz waschecht«. Prof. Tandler: (zu Renner)
»Sie, Renner, Sie sind schon ganz verjudet.« – Julius Bauer: »Sie, Doktor
Rennner, das ist ein Kompliment«. – Dr. Renner: »Ich habe mich an die
Juden gewöhnt«. – Prof.Tandler: »Vielleicht haben sich die Juden erst
an Sie gewöhnen müssen... «

Um 4 Uhr zuhause. Später kleiner Spaziergang, da die Sonne verspätet
herauskam. Stiller guter Abend. Gedichte von Werfel gelesen. Pracht¬
voll! Zeitlich zu Bett.

28.4. Ein wirklicher Frühlingstag und wirklich beginnen die Bäume zu
blühen. Mit A. Autofahrt; Rohrerwiese, Weidling am Bach, Kirling-Kloster¬
neuburg. Ein paar Schritte zu Fuss gegangen, die ersten Blumen ge¬
pflückt. A. voll sanfter Zärtlichkeit.

Zu Tisch Harry und Fredi. Fredi geht mir bei aller Teilnahme doch sehr
auf die Nerven. »Anastasia« (russische Grossfürstin) gelesen. Welch ein
Schicksal, warum erschüttert mich jetzt alles so sehr? Meine Lebens¬
angst oft überwältigend.

29.4. Gestern Abend bei A. Vor dem Nachtwahl kurzer Spaziergang. A.
erzählt, dass er Vormittag in seiner Abwesenheit von der O. aus Berlin
angerufen wurde und sie morgen wieder anrufen wird. Nun kann man ja
wieder auf allerlei gefasst sein. Offenbar Reiseprogramme. Der
Abend und A.'s Stimmung standen unter diesem Druck.

30.4. Mittag. Also: O. fährt zur Erholung an den Wörthersee. A. und
Arnoldo sollen hinkommen. Idylle! Irgendetwas muss geschehen.
Mittag die Kinder. Ich zwinge mich heiter zu sein.