Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 22.–27. April 1929

Gestern Abend zum ersten Mal einen Augenblick lang etwas wie Abnei¬
gung gegen A. gefühlt, dann gleich wieder Zärtlichkeit, Liebe, Mitleid,
aber dieser eine Augenblick war da, ich kann ihn nicht ableugnen.
Heute Vormittag Stadt. Mittag Magdi, etwas langweilig, aber lieb.

Kälte.-Abend Volkstheater. »Hannibal ante portas«. Ganz amüsant. Dann
»Linde« genachtmahlt. Ich fühle unausgesetzt, wie er darüber nachdenkt,
was er mit der Frühjahrsreise und dem Zusammensein mit Arnoldo und O. an¬
fangen soll. Er sagt kein Wort und ich auch nicht. Ich bin nur sehr
nervös. Wir sind ausserordentlich sanft und lieb miteinander.

23.4. Temperatur immer um 4 Grad herum. Schüchterne Knospen an den
Bäumen. Heinrich Königswarter und Gisela Berger zum Tee. Ganz amüsant.
Abend allein zuhause. Das neue Mädchen besonders nett.

24.4. Vormittag bei Ferda Bloch im Bureau. Unangenehme Unterredung
wegen Harry.

Abend mit A. bei dem besten Film, den ich je gesehen »Der lebende
Leichnam« nach dem Stück von Tolstoi. Tief erschüttert. Bei der »Lin¬
de« genachtmahlt. Melancholie auf beiden Seiten. Brahm, der mit Paul
Hartmann, Paulsen und Werner Krauss an einem Tisch sitzt, kommt eine
Weile zu uns.

26.4. Kälte und Regen. Vormittag Stadt. Abend Burgtheater »Anna Kare¬
nina«. Wie kann man aus diesem herrlichen Roman so ein Stück zusam¬
menkleistern. Hartmann als Bronski matt, Wohlgemut als Anna schön, aber
antiquiert, tragisch. A. sagte übrigens zu mir: »Du siehst viel besser
aus als die Wohlgemut«. Ich hatte mein schwarzes Spitzenkleid an und
den schwarzen Samtmantel mit Hermelin. Nachher »Linde« genachtmahlt.
A. sehr lieb.

27.6. Heute Mittag bei Ferda Bloch – Bauer. Die gewöhnliche Gesell¬