An A.S., Berlin.
Wien, 27.12.1928.
XIX. Hochschulstrasse 16.
Liebster,
es war sehr, sehr lieb von Dir mir gestern gleich den Flie¬
der und die Rosen herüberzuschicken – ich habe mich so gefreut und
gleich alle Stiele mit einem Messer unten gespalten und in Salzwas-
ser gesteckt, damit sie sehr lange frisch bleiben.
Das Nachtmahl mit Hery und Fredi war ganz gemütlich. Es hat
ihnen geschmeckt und sie fühlten sich sehr wohl. Gestern Abend setz¬
te noch Tauwetter mit lebensgefährlichem Glatteis ein. Viele
Unglücksfälle, der Zustand der Wiener Strassen ein Skandal, wie Du den
empörten Zeitungen entnehmen kannst.
Heute ein langes Gebrodel im Bett. Später Inspektion der
Küche und des Mädchenzimmers. Moralpredigt an Sophie über ihre
grenzenlose Schlamperei. Ich glaube nicht, dass das lange währen
wird. Um die Mittagszeit kurzer Spaziergang bei
mildem Tauwetter und Sonnenschein. Begegnung mit Ehepaar Salten in
der Nähe meines Hauses. Sie kommen Donnerstag den 3. zum Thee. »Otti«
trug ein Pintscherl an ihren Bauch gepresst, nur der Kopf sah aus
ihrem Nerzpelz hervor. Symbol der Thierliebe im Hause Salten. Mittag
rief ich Sil Vara und Frau Csapo an. Sie kommen. Er war besonders
liebenswürdig und sagte, er habe mich schon anrufen wollen, um mir zu
erzählen, dass er jetzt alle Stücke, die er im Laufe dieses Jahres nach
Amerika geschickt hat, bis auf 3 zurückbekommen hat, die in die engere
Wahl gezogen werden. Unter diesen dreien ist auch das meine. Wenn
es auch noch nichts Positives ist, so spreche das doch sehr für mein
Stück. Ich bin überzeugt, dass man es schliesslich auch ablehnen wird,
aber immerhin zögert man »ehrenvoll«.
Zu einer richtigen Tätigkeit bin ich heute noch nicht
gekommen. Es ist noch etwas Unruhe, Nervosität und physisches Unbe¬