Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 18. Oktober 1928

An A.S., Berlin.

Wien, 18.10.1928.

Mein Liebes,

es ist erst 5 Uhr Früh, aber ich kann nicht mehr schlafen,
denn tagsüber finde ich ja jetzt kaum Zeit. Von Der Plage und Gehetzt¬
heit meiner derzeitigen Lebensweise machst Du Dir kaum einen Begriff.
Gestern Vormittag war ich in verschiedenen Bureaux wegen eines Mädechens
und schliesslich gab ich eine Annonce in die Neue Freie Presse. Dann
in der Boden, wo ich das bisher eingezahlte Geld (für die Peregringas¬
senwohnung) in 7%igen Pfandscheinen anlegte und gleich in das Safe
trug.–Nach Tisch war ein Händler stundenlang da sich die verkäuflichen
Sachen ansehen. Er kaufte um 230 S. kleine Silbernippes aus einer
Vitrine, die Du nicht kennst. Die guten Sachen behielt ich zurück. Heut
kommt er und noch ein anderer wegen der Möbel. Dann packte ich einen
Koffer um, in dem sich seit dem Winter im Hotel Regina alte Bücher und
Schriften befinden. Da ich alles allein machen muss, die »Perle«
gänzlich versagt und nur frech ist, bin ich schon recht müde. Dann
ging ich zu Hery, der nicht ganz wohl ist und besorgte mir etwas zum
Nachtmahl. Die Hausgehilfin war von 3-½8 abwesend. Dann ging ich mit
Frieda zur letzten Vorstellung zu »Lolotte« ins Kino. Ich hatte so
sehr das Bedürfnis nach ein wenig Ablenkung und Aufheiterung. Der harm¬
lose, gut gespielte Film mit hübschen Bildern erfüllte ganz seinen
Zweck. Frieda freut sich auch sehr über die Wohnung. Hoffentlich
halte ich die nächsten Wochen physisch aus. Ich bestehe derzeit nur
aus mit Energie gespannten Nerven, die aber manchmal am Zerplatzen sind.

Vorgestern hatte ich keinerlei Nachricht von Dir. Gestern
Früh Dein liebes Telegramm und eine Karte, Nachmittag Brief. Er ist
stellenweise sehr lieb und auch lang, aber ich weiss doch eigentlich
nicht recht, wo und mit wem Du zusammen bist. Dass Du Dich an dem
Zusammensein mit Heini und über ihn freust macht mich sehr glücklich.
Wird er nicht einmal während des Wihters herkommen können? vielleicht