Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 30. August 1928

Hohenschwangau, 30.8.1928.

Mein Liebes, heute ein echtes, allzu echtes Herbstwetter, mit Nebel,
Regen und sehr herabgesetzter Temperatur. Eigentlich setzte das schon
vorgestern ein:- gestern Vormittag eine Unterbrechung – besonders schön,
so dass wir alle Fünf um den See spazierten. Heute Mittag reisen Heini
und Ruth direkt (über München natürlich) nach Berlin. – Wir andern blei¬
ben bis Sonntag resp. Montag,– Michaelis kommen nicht, da er etwas lei¬
dend scheint (sehr schwere Depression, wie es scheint); ebensowenig
Frau Dita Schneider, Prof. Billiter. So fahren wir, A., O. und ich am Sonn¬
tag, ev. Montag nach München – er von dort am Tag darauf, eventuell noch
am gleichen nach Venedig; – O. nach Berlin; ich nach Wien.–Wie mans auch
nimmt, es ist ein trauriges Auseinanderstieben und mein Herz, das daran
gewohnt sein könnte, tut mir wieder einmal weh. Du weisst, mein Liebes,
dass ich – nicht »trotzdem« – sondern aus ungebrochenem Empfinden he¬
raus, mich Dir wahrhaft entgegenfreue... wenn ich auch jedes Wort, das
mit Freude die gleiche Wurzel hat, nur mehr mit Zagen und Bitterkeit
auszusprechen vermag. Du verstehst und verzeihst. – – Ich habe nur
etliches sozusagen aphoristisches zuendegeschrieben – habe mich noch
nicht entschlossen von meinen andern Sachen (seit dem misglückten
Versuch mit »Wort« und »Zug der Schatten«) was vorzunehmen. Las das
Schloss von Kafka zu Ende (eine sehr eigentümliche Sache) und lese
jetzt das Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens (ein Originalwerk,vom
psychoanalytischen Verlag herausgegeben – das allerdings psychoanaly¬
tisch nichts neues bringt, aber als amüsantes Wiener Cultur-[B]ild gelten
darf.) Nachmittags hab ich mich übrigens meist ins Bett gelegt – eine
so unsagbare Müdigkeit ist in mir.–Und über das Geschehene reden ist
noch immer besser als es vermeiden. – Denn man denkt doch kaum anderes.
»Kaum« sag ich, weil nämlich auch andere Gespräche stattfinden, beson¬
ders über Arnoldos Zukunft. Ihm kommen wir immer näher; und da man doch
immer in menschlich-unmenschlicher Weise abzumessen nicht unterlassen
kann, auch innerhalb des seelischen – ihm glaub ich ist unter allen das