Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 24. August 1928

Semmering, 24.8.1928.

Mein Liebes, gestern sah es schon ganz nach Herbst aus und heute
ist wieder der schönste Somnertag. Wenn es doch so angenehme Ueber¬
raschungen oder Täuschungen im Leben gäbe.

Vormittag mit Emmy am Pinkenkogel – hin und zurück in einem – 2½
Stunden. Und dann direkt ins Stüberl, wo wir schon um ½1 Uhr essen
da man sonst keinen Tisch allein bekommt. Gespräch über ihren Besuch
bei Alma, über den ich Näheres mündlich berichten werde. Gespräch über
Dich, über die Zeit, über Beziehungen zu Gott etc. Sie ist eine ausge¬
zeichnete Person, nur schrecklich ermüdend. Ich kann nur nicht den gan¬
zen Tag allein sein. Es bleibt immer noch der lange Nachmittag und
Abend übrig.

Gestern Abend hatte ich geradezu Angst vor der Einsamkeit, zog mir um
½10 noch mein einfaches schwarzes Kleid an, wickelte mich in mein Sil¬
bertuch, das Du ja kennst und ging hinüber in die Halle. Nach einer
halben Stunde lief ich angegraust wieder fort.

Heute Mittag fand ich Deine lieben Zeilen vom 22. vor. Ich freue mich,
dass Dir Ruth sympathisch scheint und sicher eine Ablenkung für Dich
bedeutet, nur sollte Heini noch nicht ans Heiraten denken (ich weiss
ja gar nicht, ob es der Fall ist), denn er ist noch viel zu jung.
Auch ich will heute zu arbeiten versuchen, obwohl es mich zu gar
nichts ernsthaft hinzieht. Am ehesten noch zur Corday, aber mehr aus
Eigensinn als aus Ueberzeugung, denn ich fühle mich dieser Arbeit noch
nicht gewachsen.

Ob Du nicht die Stabsarztnovelle anfangen solltest? Vielleicht ist das,
was ich sage, sehr dumm, aber es ist gut gemeint. Ich glaube, dass ein
grosser Schmerz sich eher in einem neuen Werk umzusetzen oder richti¬
ger auszuleben vermag, als in schon betretenen Pfaden und dich daher
eine neue Arbeit vielleicht eher abzulenken und zu fesseln vermöchte.
Deshalb könntest Du ja immer fallweise auf »Zug der Schatten« und »Wort«
zurückgreifen.–Lebwohl, mein Kind, ich hoffe noch immer zu hören, dass
Du Dich wenigstens physisch erholt und erfrischt fühlst. Ich glaube,
ich sehe schon besser aus, bin recht abgebrannt und alles andere – hängt
nicht von der Sonne ab. Lebewohl, mein Liebes, ich schicke Dir viele
tausend Küsse.