Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 23. August 1928

Semmering, 23.8.1928.

Mein Liebes, endlich heute Abend wieder ein Brief von Dir. Es ist der
vom 21. Ich war so froh, als ich ihn in Händen hielt und nun bin ich
doch auch wieder sehr traurig, denn ich fühle Dein Leid und dass es
noch gar nicht besser wird. Alles was ich Dir sagen könnte und möch¬
te, wird auf die Entfernung zur Phrase. Ich müsste bei Dir sein, Dich
streicheln können. Ach Gott, ich darf nicht denken, sonst kommen mir
gleich die Thränen in die Augen. Heute Vormittag holte mich Emmy R.
wieder in der Meierei und ich begleitete sie ein Stück gegen den Ort¬
hof zu. Sie ging weiter zu Alma auf den Kreuzberg, aber ich lehnte ab
mitzukommen, da ich ohne Aufforderung nicht hin mochte. Sonst war ich
den ganzen Tag allein. Es ist schon sehr herbstlich und kühl und lange
werde ich es kaum mehr aushalten. Jetzt bin ich schon zwei Abende nicht
aus meinem Zimmer gegangen und weiss noch nicht, ob ich mich heute dazu
aufraffen werde. Der Gang hinüber ist so kalt und das Umkleiden so
fad. Ach, mein Liebes, wenn ich Dir nur sagen könnte, wie einsam ich mich
fühle und wie mir manchmal zu Mut ist, aber ich weiss, dass ich jetzt
nicht an mich denken darf.

Was mir immer an und für sich unfasslich bleibt, ist – dass man sich
vernichten kann, wenn man sich so geliebt weiss. Die Tat selbst ge¬
hört wohl früher oder später zu ihrer Wesensart. Mein Liebes, glaube
mir, -Lili hat Dir den furchtbarsten Schmerz zugefügt, aber es wären
Jahre der Qual und Sorge gewesen, die Dir bevorstanden und Du kannst
heute nicht wissen, wie Du das ertragen hättest. Ich möchte Dir so
gerne etwas sehr Liebes und Gutes sagen, aber alle Worte erscheinen
mir zu schwach und ich kann Dich nur in Gedanken ganz fest an mein
Herz drücken und küssen. Deine

C.K.