Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 28. April 1928


sich viel mit Psychoanalyse und Frauenpsychologie (über die er ein
Buch schrieb) – und Palaeontologie beschäftigt hat- so dass ich gestern
Abend die interessantesten Aufschlüsse über den Ichthyosaurus und
über die Frauenseele erhielt (der erstere lebte vor 150 Millionen
Jahren, die letztere wird überhaupt vielfach geleugnet). Uebrigens
ein ungewöhnlich kluger, höchst gelehrter Mann nicht ohne einige,
wahrscheinlich sehr berechtigte Selbstzufriedenheit. Seine rundliche,
resolute Frau ist mit, drei Kinder[n],[ (]im Alter bis 19[) ]daheim geblieben. – Oberstleute¬
nant Krum – Kriegserinnerungen, militärische, politische, österrei¬
chische. Humorvolle winzig kleine Frau.–Advokat Dr.Sachzel; -ge¬
scheidt, – urheberrechtliches und metaphysisches. – Nebenpersonen,
von denen nichts besonderes zu sagen. – Abend immer Tanz auf
Deck (mit Ausnahme des kalten Bosporustages). – Am besten aussehend
die Italiener und Italienerinnen, einige wienerische von fern möglich; -
die Deutschen zum grossen Theil unerfreulich anzusehen, werden über¬
troffen durch eine Schwyzer Gesellschaft. Im übrigen sondert man
sich gegenseitig nach dem Zufall der Tischordnung ab (die natürlich
auf die Nationalitäten Rücksicht nimmt).

Das Essen weiterhin recht gut; die Dauer des Diners erregt allegemeine
Verzweiflung; (auch beim Kapitän). Von der nächsten Reise an soll Re¬
staurantbetrieb am Abend eingeführt werden.

Zu längerem Aufenthalt von allen Küstenorten, die ich gesehen, lädt
am meisten Rhodus ein- eine 80 Km lange Insel, die jetzt den Italie¬
nern gehört, mit dem besten Klima des Mittelmeers (laut Bädecker) und
einem ganz neuen prachtvollen Hotel- sowie dazugehörigen Badestrand.
Aber die Verbindung hieher ist noch etwas mangelhaft.

Lebwohl für heute, mein Liebstes, ich verlasse jetzt meine Cajüte, gehe
auf Deck, umkreise es ein paar Dutzend Mal und umarme Dich vorher
noch zärtlich. Auf bald! Dein

A.