Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 28. April 1928

auf hoher, aber spiegelglatter See,
28.4.1928 Vormittag
etwas westlich von Kephalonia, in den jonischen
Inseln.

Mein Liebes, seit Rhodus sind wir auf der Heimreise, das Wetter ist
herrlich, heute fast schon zu warm, das Meer rührt sich nicht, man
könnte glauben, dass das Schiff stille steht. Mein Befinden ist gut
(heute nur durch etwas Kopfweh gestört). Man findet mein Aussehen vor¬
trefflich und ich hoffe die Reise wird mir – ganz abgesehen von der
Freude mit Lili zu sein und von dem vielen neuen und merkwürdigen, das
wir gesehen- von Vortheil geworden sein. – Gestern habe ich übrigens
zum ersten Mal meine Manuscripte vorgenommen; Zug der Schatten. Heute
kommt der Schluss dran. Ich denke, es wird nicht gar zu viel Mühe
kosten die Sache dictir- und aufführungsreif zu machen. – Im allge¬
meinen habe ich kaum was gearbeitet, bin sehr viel auf Deck herumge¬
laufen, auch gelegen, habe gelesen, Paléologue und Dreyser, bisher
zwei Bände – in der grössten Spannung hab ich abgebrochen und he¬
be mir den 3. Band für die Heimreise auf, die jedenfalls Donnerstag,
sei es zu Luft oder zu Erde stattfinden wird. Dieser Brief geht in
Ragusa ans Land. Vor Mittwoch wirst Du ihn kaum haben, vielleicht
aber kommt er erst nach mir an. Und morgen in Raguza habe ich hof-
fentlich einen Brief von Dir. Ich habe bisher nur den kurzen Brief,
den ich in Constantinopel an Bord erhielt, – der Athenienser fehlt
und drei Karten. Also natürlich noch auf keine meiner Nachrichten ei¬
ne Antwort; und weiss seit 10 Tagen, wenn nicht länger, nicht was Du
denkst und tust. Morgen werd ich hoffentlich einigermassen entschä¬
digt werden und in Venedig find oder erhalt ich doch jedenfalls
auch noch Nachricht und Freitag spätestens sehe und spreche ich
Dich wieder – und wir wollen gute und schöne Tage haben.

Ausser mit Lili und Arnoldo sprech ich hier am meisten mit Prof.
Liepmann, der nicht Psychiater ist, sondern Chirurg und Gynäkolog,