Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 24. April 1928

24.4.1928.

Constantinopel, Früh 8 Uhr.

Mein Liebes, eben sind Arnoldo, Lili, der Kapitän und der Direktor
Sampo, sowie noch zwei Italiener vom Schiff fort, um einen kleinen
Flug in den Bosporus zu unternehmen, zu dem sie der Direktor
Sampo eingeladen; – Arnoldo kommt wahrscheinlich ungelüftet zu¬
rück, da er nur auf die geringe Chance eines freien Platzes an
den Flugplatz mit fuhr. Wahrscheinlich kommt er zurück und wir
tragen noch einiges nach, was wir in den sehr erfüllten Constanti¬
nopolitouren noch versäumt haben. Ich erzähle chronikalisch, was
sich seit vorgestern Mittag zugetragen. Vor allem berichtigend, dass wir
nicht in der Aga Sofia gewesen waren, sondern Blauen Moschee, wie
sich am nächsten Tag herausstellte. Vorgestern Nachmittag Autofahrt
nach Egüb – am Ende des Goldenen Horns, der Konst.-Hafen, der eine
Sackgasse ist – Moschee, Friedhof, Ausblicke; auffallend viel ver¬
fallende Häuser, manche scheinen durch Feuer halb zerstört. Wahrhaft
furchtbar zum Theil die Strassen: tiefe Löcher; -unverständlich,
dass es die Autos vertragen. – Von Egüb nach Pera, dies ist der mo¬
derne Theil von Constantinopel – lange Geschäftsstrasse (in den
Abendstunden überfüllt) ansteigend, auf den Höhen die
unvergleichlichen Meerblicke. – Sonderbar, wie die Seitengassen fast
alle sehr steil ins Dunkel verschwinden.–(Die Sicherheit soll eine
relativ vollkommene sein; man spürt überall Ordnung und »Aufstieg«
und die feste Hand eines Dictators. Kemal Pascha auch in der
Physiognomie auffallende Aehnlichkeit mit Mussolini. (Er
residi[e]rt »bekanntlich« nicht in Konst., sondern 24
Eisenbahnstunden weit von hier, in Angora.) -
Spät aufs Schiff, aus Protektion ein schlechtes kaltes Nachtmahl.-
Gestern Montag türkischer Feiertag. Allerlei was wir besichtigen
wollten war geschlossen. Immerhin die (echte) Aga Sofia; und die
märchenhaft wirkende Cisterne des Theodrius (oder Konstantin -