Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 19.–20.4.1928


wieder einmal, dass Ansichten nicht sehr belangvoll sind und es
nur auf die Persönlichkeit ankommt.

Heute Früh fahren wir wieder nach Athen, holen Mimi und Viki aus dem
Hotel und fahren gleich weiter (fünf Minuten kaum) auf die Akropo¬
lis; – die heute weisser scheint als sie ist; Wandeln im Sonnen¬
glanz zwischen Tempeln, Trümmern, Säulen; die Maasse sind überwälti¬
gend – die Ausblicke nach allen Seiten, auch ohne hysterische
Schauer ergreifend. Die Stadt selbst hat sich in den letzten Jahren un¬
geheuer ausgedehnt – aus einem Flüchtlingslager grössten Stils
beginnt sie sich allmählig zu einer Grossstadt zu entwickeln -
vorläufig aber sehen die neuen Stadttheile wie versteinerte Ba¬
rackenlager aus. Man sagt mir, dass heute schon nahezu eine Mil¬
lion Menschen in Athen wohnen – vor dem Krieg waren es kaum mehr
als 150.000.-

- Wir sassen auf den Stufen des Parthenon (es bleibt einem nichts
anderes übrig, wenn man müde wird); dann machten wir noch eine kleine
Rundfahrt, um alles Antike zu besehen, grösseres und kleineres.
Gemeinsames Mittagessen im Hotel (das höchst international ist). -
Um 4 fuhren wir wieder an den Piräus zurück – aufs Schiff, das nun
auch eine vorübergehende – Heimat ist. Ich fand (als einzige Nach¬
richt) Deine als zweite bezeichnete Karte – eine erste aber
habe ich nie erhalten. Hoffentlich kommt sie noch nach, ehe wir
morgen Nachmittag den Piräus verlassen. Dies hier ist, von 4 oder
5 Karten abgesehen, mein 3. Brief an Dich.

Piräus, 20.4.

Ich setze den Brief heute Morgen fort. Gestern wurde ich durch die
aus dem nächtlichen Athen etwas verfrüht rückkehrenden Kinder ge¬
stört. Es gab drüben nicht einmal Gelegenheit zu tanzen. Ueber
das Schiff wäre noch etliches zu sagen. Dass es 24 Jahre alt ist,
habe ich Dir schon geschrieben. Ich habe nun eine leidlich ge¬