Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 13. April 1928

Triest, 13.4.1928. gegen Abend.

Liebste, gerade gegenüber meinem Motelfenster, weiss im Abendglanz liegt
die »Stella«, mit der ich morgen abreisen werde; ich habe sie Nachmit¬
tag besichtigt, zufällig mit Lili Berger (Roth), die ich in Gesellschaft
ihres (etwa 10jährigen) Sohnes (schon heut ein fescher Kerl) – auf
dem Quai traf. (Sie kam aus Raguza). Aber die »Stella« (so hübsch und
einladend sie ist, sättigte mich nicht – da die berühmte Saturnia eben
vor Anker liegt, verschaffte ich mir auch dort Einlass und verbrachte
dort unter Führung eines Cosulich-Beamten anderthalb Stunden. Wahrhaft
imponierend – mit etlichem he[h]ren und geschmacklosen Prunk ( Ein
weisses Clavier, das angeblich 2.600 Dollar kostet – auch um 2000
wärs geschmacklos und theuer genug.) -

Aber ich will doch der Reihe nach erzählen. Ich war nicht allzu früh
an der Bahn – als ich dem Gepäcksträger gezahlt hatte, machte mich
ein Herr aufmerksam, dass meine Brieftasche auf dem Boden lag. Kein
übler Anfang – ich nehme es als gute Vorbedeutung, dass ein ehrlicher
Mensch nach mir an den Schalter kam. Sonst war übrigens weit und
breit kein Mensch zu sehen. Auf dem Perron das Gerücht vom Mailänder
Attentat; Gespräch mit dem sehr netten und faszistischen Schlafwagen¬
kontrollor, -Dreyser zu lesen begonnen. Von ½11-4 geschlafen, dann
noch 2 Stunden mit Unterbrechungen. Um 10 Triest. Zugleich mit mir
stiegen aus Herr und Frau Kr. -- (von Lichtenstein her bekannt) und
ein sich mir unverzüglich vorstellender Herr Rademauer (lauter Stella-¬
Passagiere). – Ins Excelsior, mässig sympathisches Luxembourg, Spa¬
ziergang von 2 Stunden durch die Hügelvorstädte und durch die innere
Stadt.–Im Excelsior gut gegessen. Dann gleich, wie schon erwähnt,
Stella, – dann ins Hotel – vergeblicher Versuch ein wenig zu schlafen;
hierauf (siehe oben) Saturnia.–Auf dem grossen Platz nahe dem Hafen
ein Soda-Himbeer; – und nun mit leichten Kopfschmerzen zuhause. Ein
schöner, etwas kühler Frühlingsabend und die Stella drüben wird
immer weisser, je dunkler die Nacht übers Meer heraufzieht. Ich bin