Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 22.–27. März 1928


Alma Mahler, A. und ich.

Wie merkwürdig, dass ich in Hofmannsthal einst verliebt war, daß wir uns
küssten. Ein Herr mit einem bösen Zug um den Mund und etwas posierend.
Werfel sympathisch, mit gütigen blauen Augen in seinem Schubert-Gesicht.
Alma stürmisch lieb und herzlich, verleugnet ihre Freundschaft für O.,
schimpft auf sie. Ich glaube sie (nämlich Alma) ist kein verlässlicher
Charakter.

Noch hübscherer Abend bei A. Anstatt Hofmannsthal Raoul Auernheimer und
Horch (Josefstädtertheater). Werfel, Alma noch herzlicher zu mir. Ich
soll Werfel meine Gedichte senden.

Im Theater mit A. bei »Robert et Marianne« von Geraldy. Friedlich, aber
ohne Herzlichkeit. A. erzählt mir, Alma habe ihm gesagt, sie empfinde mich
noch entzückender als vor 20 Jahren???

27.3. Nachmittag. Bei Salten zu Ehren Géraldys. Viele Menschen. Hofstaat
um Castiglioni. Pfui Teufel! Viel mit Werfel gesprochen. Sil-¬
Vara kennen gelernt. Nachher mit A. im Kino. Wir behandeln uns gegensei¬
tig sehr gut mit Schonung, fast mit Zärtlichkeit, aber der wirkliche Elan
fehlt. Er klagt fort über Befinden und Nerven. Ich rate ihm für ein paar
Tage zu Lili nach Venedig zu fahren, Er sagt, nach Ostern. Wenn er nett
wäre, würde er mich auf der Rückreise in Meran oder sonstwo treffen.

Also, er fährt am 13. nach Triest, trifft Lili und macht mit ihr eine See¬
reise – Athen, Constantinopel. Von mir nicht die Rede. Beschlossen –
mir mitgeteilt. Ich sage kein Wort. Auch der Schwiegersohn fährt mit.
Lili wollte sich nicht von ihm trennen. Ich schweige, schweige. Die
zweite grosse Seereise, die er in den sechs Jahren mit Lili macht. Ein
18-jähriges Geschöpf, das ohne Rücksicht auf die Trennung vom Vater den