Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 27. Januar – 2. Februar 1928


nachzusenden sind, da sie in Berlin eine Wohnung in Sicht hat.

28.1. O. heute Abend allein bei ihm, angeblich wichtige Besprechungen we¬
gen des Spediteurs etc. Er teilt es mir telefonisch mit. Ich reagiere mit
keinem Wort. Wozu Worte? Zu Szenen, wie die im Vorjähr waren, lasse ich es
nicht kommen, aber ich bin innerlich wie erstarrt. Ich arbeite viel.
Ich weiss, sie ist wieder nahezu täglich bei ihm, ich wieder ausgeschlossen.

29.1. Heute am Spaziergang doch die Katastrophe ausgelöst, durch seine
Mitteilung, dass er am Abend mit der 19-jährigen Pianistin L. K. ins Kon¬
zert geht. Ich sage nichts, mache nur offenbar ein entsetztes Gesicht. Er
darüber empört, erst eine halbe Stunde böses Schweigen, dann durch ihn pro¬
vozierte heftige Auseinandersetzung. Wirft mir Irrsinn und Herzlosigkeit
vor.

30.1. Das nennt er Liebe. Ein Minimum an Takt hätte ihm gerade während O.'s
Anwesenheit ein anderes Benehmen diktieren müssen. Aber ihn enerviert es,
dass er mir anmerkt, ich sei irritiert, ich habe nicht das Recht empfind¬
lich zu sein. Er duldet keine Einschränkung, seines freien Willens, alles
ist belanglos. Wenn ich ein Wort sage, stampft er mit dem Fuss, erklärt,
er wird krank und ich bekomme Angst und schweige.

Ich arbeite, um nicht zu weinen.

Ich habe lange nicht eingeschrieben. Wozu auch – Verstimmungen, Depressio¬
nen.

Am 2. zum Frühstück bei A. mit Wassermann zusammen, der meine Anwesen¬
heit angeblich gewünscht hat. W. mir wenig sympathisch, ebenso wie seine
Werke, wenn ich auch sein grosses Können vollauf würdige. Am 4. Abendessen
bei Auernheimer für Wassermann. Bin mit A. zusammen hingefahren. Er machte
mir Komplimente über mein Aussehen, so wie man jemandem den Hof macht.
Irgend ein Band zwischen uns ist lädiert.

Ich habe A. erklärt, dass es so nicht geht. Wenn er fühlt, dass er mich
weniger liebt, so bin ich fest entschlossen, abzureisen. (Emmy R. leiht