Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 6.–8. November 1927

Sonntag, 6.11.1927.

Habe heute Früh noch im Bett liegend gedacht, es ist jetzt so schön, so
friedlich zwischen A. und mir, woher kann jetzt wieder eine Beunruhigung
kommen? Irgendwo in mir ist ja noch die Enttäuschung über seine kindischen
Lügen, aber ich wollte sie vergessen trachten, wollte versuchen wie¬
der an ihn zu glauben. So dachte ich noch heute Früh und zwei Stunden
später – - Er will in der nächsten Zeit nach Berlin, ganz plötzlich am
Vormittagsspaziergang hat er es mir mitgeteilt. Freilich, um seinen Sohn
zu besuchen, aber ich kann doch nicht vergessen, dass O. dort ist. Jetzt
sind es 14 Tage, dass wir sie los sind. Soll mein Leben immer unter dem
drohenden Schatten dieses Weibes verlaufen? Wenn er tausendmal sagt,
dass sie ihm nichts ist als die Mutter seiner Kinder, sie ist doch immer
wieder vorhanden. Wir gingen stumm durch den wundervollen herbstlichen
Wald.

Am Abend bei ihm – er war sehr zärtlich, ich innerlich müde. Nach dem
Abendessen war ihm einen Augenblick lang nicht gut – gerade als er ans
Klavier ging, um zu spielen. Ich bin sehr erschrocken, obwohl ich glaube,
dass es vom Magen war und er nur zu rasch gegessen hatte. Aber ich
habe mir geschworen alles zu vermeiden, was ihn ärgern oder aufregen
könnte. Wir sind zu ihm hinauf und es war sehr spät, als er mich zum
Auto brachte. – Ich habe die Bürstenabzüge der Aphorismen mit, die
jetzt als Band erscheinen sollen. Welche Fülle von Geist, aber wie Wenige
werden verstehen und die Kniee beugen.

7.11.27. Vormittag Stadt, Zahnarzt, Kleid besorgt. Jeden Augenblick stürzt
jemand anderer auf mich zu, um mir ein paar freundliche Worte und auch
mehr wegen meines Romans zu sagen.

8.11. Vorm. Stadt. Anfang des neuen Romans diktiert. Sehr hübscher ver¬
gnügter Abend mit A. in der Oper, bei Sacher soupiert. Piccaver-Deglieux
war wundervoll, die Vorstellung sehr genossen. Wir hören viel zu wenig
Musik. Beim Nachhausefahren bettet A. seinen Kopf sehr zärtlich an meine
Brust. Ich fühlte mich sehr wohl.