Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 11. September 1927

Hotel Corno D'Oro Lido Venezia Sonntag II. 8. Früh 1927

Mein Liebes, Ich habe deinen Brief vorgefunden, als ich gestern spät abends
aus Venedig von einem Nachtmal bei Capellinis zurückkehrte, so kann ich
ihn erst heute morgens beantworten; -der Portier bringt ihn trotz des Sonn¬
tags um 12 zur Bahn.–Ich kann dir kaum viel andres erwidern, als ich schon
so oft gesagt: dass du doch nicht immer wieder Eigenheiten und wenn du
willst Mängel meines Wesens, als speziphische Einstellungen dir gegenüber
betrachten sollst! wieder sprichst du von meiner Vorsicht, meinem Wunsch m
mich zu bewahren, – der freilich mit Vorsicht garnichts zu tun hat – den ich
immer nicht einmal bewust- gehabt habe- und der wahrscheinlich eine seeli¬
sche Schutzvorrichtung vorstellt, wie sie bei Künstlern insbesonders,
automatisch in Funktion zu treten pflegt. Ich kann nun einmal nicht Worte
aussprechen, wie sie verlangt vielleicht erwartet werden,– was du mir als
Geliebte und Freundin bedeutest, müsste dir doch eigentlich in diesen 4½
Jahren, so ziemlich klar geworden sein. Du sagst man sollte in unseren
Jahren nicht so s[e]hr auf Freiheit bedacht sein, sondern froh sein, dass
man einander besitze. Mit dem Letzten, sehr einverstanden – aber schließt
denn Freude am Besitz die höchst bescheidene und nie mis[s]brauchte Art von
Freiheit aus, ohne die ich nun einmal nicht existieren kann und umsowe¬
niger, je älter ich werde. Was meine Beziehung zu O. anbelangt, so wie¬
derhole ich immer wieder nur, das[s] es dir wenn du gerecht und klar däch¬
test, eine Beruhigung gewähren müsste, dass diese Beziehung aus Gehässig¬
keiten und Gereiztheiten heraus, sich zu einer ruhigen und freundschaftli¬
chen entwickelt hat und müsstest doch begreifen, dass unsere gelegentli¬
chen Gespräche und Unterhaltungen ein Zusammensein mit einer Frau die
immerhin 20 Jahre... u. s. w.–Du weisst ja das Alles- auch nicht im Ent¬
ferntesten eine Verletzung deiner Rechte oder deiner Gefühle bedeutet.
Nichts wäre mir selbst erwünschter, als wenn ich, wie über alle
Dinge so auch über diese – wie ich immer wieder versuche – vorbehalt- und
rückhaltlos mit dir sprechen könnte,– aber ist es nicht niederdrückend
und beschämend immer wieder dein Mistrauen deinen Groll, deiner Ge¬
kränktheit und Einsichtslosigkeit zu begegnen? Weder Kontrolle noch ver-¬