Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 9. September 1927


tung rascher zu Entschlüssen getrieben, die vielleicht doch die einzig
richtigen wären.

Du schreibst am Schluss Deines Briefes von "Meinungs-
verschiedenheiten", die sich ausgleichen lassen müssten. Aber es handelt
ich leider nicht um Meinungsverschiedenheiten, sondern um tief einge¬
wurzelte Gefühle und Empfindungen, gegen die wir Beide nicht ankämpfen
können. Und am Ende sagst Du, dass Du mit den innigsten Gefühlen meiner
gedenkst und niemanden bessere gehören. Ja, weisst Du denn, dass mir das
zu wenig ist? Nenne mich nicht unbescheiden, ich verlange nicht mehr,
als ich zu geben bereit war. Aber es gibt eben Augenblicke, wo man
ein Plus an Wärme und Herzlichkeit braucht, um sich überzeugen zu las¬
sen. Hättest du geschrieben, ich habe dich unendlich lieb und ich brau¬
che, dich als »Geliebte« und »Freundin«, dann hätte es vielleicht mehr Eindruck
gemacht, aber Deine vorsichtigen Worte, die doch nur wieder ein sich Be¬
wahren und eine Sicherung nach anderen Richtungen bedeuten, können
mir nicht so nahe gehen als Du wünschst und an meiner Einstellung,
Angst vor der Zukunft wenig ändern. Ich sehe trotz allem guten Willen
Szenen und Aufregungen voraus und wenn ich sie – so wenig ich mich ihnen
gesundheitlich gewachsen fühle, doch auf mich nehmen wollte – so ist mir
der Gedanke quälend, da, wo ich beglücken möchte, Unruhe und Aergernis zu
schaffen.

Wenn Du mich auch oft kindisch nennst, so fühle ich mich
um nichts jünger als Dich, und ich finde, dass man in unseren Jahren
nicht auf Freiheit bedacht sein soll, sondern froh, Eines das Andere ge¬
funden zu haben.–Ich kann aber nicht so zu Dir stehen, wie ich möchte,
wenn mir aus den Situationen, die Du, wenn auch nicht geschaffen, so doch
heute irgendwie unterstützt. Kränkungen entstehen. Ich kann mein Wesen
so weit nicht vergewaltigen, dass Du sie mir nicht anmerken würdest. An¬
dererseits würde ich es auch genau merken, wenn Du mir irgend etwas vor¬
enthalten, verschweigen wolltest, um Szenen zu vermeiden. Misstrauen und