Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 30.–31. August 1927


Alters sein. Aber ich fühle wie ich immer müder und trostloser werde. Mir
graut vor diesem Winter.

31ten

Und jetzt ist wieder die Katastrophe da.

Ich war heute Vormittag von grosser Herzlichkeit zu A. Ging in sein Zimmer
setzte mich auf seine Kniee, Kälte und Gleichgiltigkeit antwortete mir. Ich
vermuthe er hat Brief von O. sage aber kein Wort. Ich gehe in mein Zimmer u.
arbeite da ich mich nicht wo[h]l fühle und nicht baden gehe. Er kommet nach dem
Bad im Bademantel herein legt sich auf den Divan und dann sagt er plötzlich:
Was tust du wenn die O. zufällig in selben Schlafwagen mit dir nach W. fährt.-
»Ich werde sie höflich grüssen und sie nicht weiter beachten.« Er darauf: »Viel¬
leicht werdet ihr mit einander reden.« Ich meinte dass ich das für ziemlich
ausgeschlossen halte da wir uns doch garnichts zu sagen haben und wie ich wei¬
ter zu ihr stehen werde hinge wo[h]l davon ab, wie sie sich in diesem Winter ver¬
halten werde, da sie doch wie er mir mitteilte, wegen einer Geschäfts¬
[v]e[r]bindung mit Frau Schneider ( Antiquitätenhandel ) lange in Wien aufzuhalten
gedenke. Darauf legte er los: ich müsse Vernunft annehmen, er lasse sich in
seinen Verkehr mit O. nichts dreinreden, er müsse frei sein zu tun was ihm
beliebe etc. Resultat gegenseitige ma[ß]lose Erbitterung. Ich habe ihm erklärt
dass ich nie nie meine Einstellung ändern werde es wäre eine Verleugnung mei¬
nes ganzen Wesens. Seine Beziehung zu dieser Frau sei nicht aus Gehässigkeit,
Gleichgiltigkeit sondern eine Art Herzensschlamperei geworden, die er selbst
in seinen Werken verdammt. Das ist eine Luft in der ich nicht zu athmen ver¬
mag.

Ich wünschte ich wäre schon zu Hause in meinen vier Wänden. Das ist nun die
Reise, – das Zusammensein das man sich so schwer erkauft hat -

Nein ich täusche mich nicht mehr. Seine Zurückhaltung, sein Einschnappen
nach jeder leidenschaftlichen Stunde ist ein sich bewahren sich Zurückneh¬
men für andere Möglichkeiten -- Er nimmt meiner Liebe jede Nahrung jede Ent¬
faltungsmöglichkeit und dann fragt er – warum bist du düster.?

Was habe ich ihm nicht an Liebe an Zärtlichkeit an Geduld in diesen Jahren