Zwischenbemerkung, 5. Juni 1927

5ten Juni 1927

In die sonnige Stille der letzten Tage ist ein furchtbarer Schatten
gefallen. Frau L. (Lichtenstern) ist tot.–Auf einer Autofahrt mit
Mann und Sohn, nach Reichenau verunglückt, der Mann selbst hat chauf¬
fiert, an einer abschüssigen Stelle geriet der Wagen ins Schleudern,
zertrümmerte gegen einen Akazien- Baum, der Primarius und der Sohn
wurden leicht verletzt, ihr wurde die Kehle von der Windschutz-Vorrich¬
tung durchschnitten- sie war augenblicklich tot. Das Unglück geschah
gestern um 40. N. M.–A. war ahnungslos mit mir im Theater bei »Peri¬
pherie" dann nachmahlten wir zusammen und sprachen von der kleinen Rei¬
se, die wir Dienstag antreten wollen – Heute Früh brachte die Zeitung
die Nachricht. Mir meine ersten Empfindungen klar zu machen, ist mir
nachträglich nicht mehr möglich – Ich hatte nur instinkti[v] den Wunsch,
A. vor einem plötzlichen Chok zu schützen, ihn vorzubereiten ehe er
die Zeitung zur Hand nahm und gleichzeitig hatte ich das Bestreben mich
gegen ein unbeschreibliches Grauen zu währen-

In meiner Verzweiflung telefonierte ich Frieda P. an um sie um Rat zu
fragen. Sie war entsetzt, meinte aber ich könne nichts tun als abwar¬
ten, A. habe sicher schon die Zeitung in der Hand. Kaum hatte ich ab¬
gel[ä]utet, als A. mich anrief- er wusste schon seit einer Stunde, da
man die Masseurin, ( Bronkovsky) die auch die seine ist, zu ihm geschickt
hatte- Er schien ruhiger als ich gefürchtet hatte, vielleicht auch
weil er meine namenlose Aufregung fühlte und verstand. Er sagte, dass
er sich gleich fertig macht und zu Prim- L. gehen will, aber jeden¬
falls auch zu mir kommen werde. Gleich darauf rief mich die Frieda an,
und wieder hatte ich wie schon öfter die Empfindung, dass sie mich ver¬
letzen will. Sie frug ob ich A. schon erreicht habe und auf meine Mit¬
teilung, dass er weniger aufgeregt sei als ich gefürchtet und viel¬
leicht, als ich selbst, – meinte sie (obwol sie merkte in welchem