Venedig, Freitag, 21.4.1927.
Hôtel Bonveciati
(nach Wien).
Liebstes, man sollte nicht glauben, in wie kurzer Zeit ein Zimmer, das
einem noch gestern beim Einziehen unbewohnbar schien, vertraut und
geradezu sympathisch wird. Allerdings habe ich das meine dazu getan;
der wackelige Tisch ist durch einen soliden ersetzt; ein zweiter dazu
gekommen (um Bücher und dergl. hinzulegen), gewisse Unzukömmlichkeiten
des Badezimmers (das immerhin dabei ist) sind durch einen Mechaniker
abgestellt worden und die Aussicht, die anfangs abscheulich wirkte, habe
ich mich entschlossen als charakteristisch zu empfinden. Für einen Film¬
regisseur wäre sie unbezahlbar. Mir gegenüber eine grosse Terrasse,
auf der eine Art (1 Wort unleserlich) arbeitet; – im Hintergrund
geschlossene Fensterläden; – dann ein Holzzaun – gleich daneben ein
Glasdach von einer roten Mauer flankiert; vor meinem Fenster eine
unpraktikable Terrasse, – mit Orangenschalen, Petzen, einem kleinen Rauch¬
fang -daneben ein Lichthof, auf der andern Seite Blick in den Restau¬
rationsgarten des Restaurants. – Auf dem Nebenhaus eine Riesenantenne,
Telegraphendrähte, die schief von Haus zu Haus laufen – das Ganze von
allen Seiten völlig abgeschlossen. Kein Ausblick auf Strasse oder gar
Meer, nicht einmal ein fernes Dach oder ein Thurm zu sehen; nur ein
(glücklicherweise blauer) Himmel, der sich drüber spannt – und völlige
Stille; – das ganze für eine Verbrecherjagd wie geschaffen.
Aber wo gerathe ich hin? Es handelt sich ja um kein Scenarium; ich
will einen Reisebericht schreiben. Also die Fahrt verlief glimpflich.
u. war mit an der Bahn, auch Dr. Bloch, der sie nach der Stadt zurück begleitete.
Ich schlief ziemlich schlecht. Im Nebencoupé Franz P. (Mariannens Sohn)
sowie ein Holländer, der mir eine Karte mit einer Venezianer Adresse
vorwies: wo dieses Haus sich wohl befinden möge – es war Almas Adres¬
se und der Holländer ein Musiker, Verehrer Mahlers. In Treviso stieg
schwarzhemdig und bedrohlich anzusehen A.C. ein; Ankunft in Venedig um