Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 21. April 1927

A. war mit Lily nach Venedig gefahren um
Wohnung für sie zu suchen.
Ich lag nicht sehr krank zu Bett.

Wien, 21.4.1927. ½1 Uhr.

An A.S. Venedig.

Mein Liebes,

während ich diese Zeilen beginne, nähert Ihr Euch Venedig
und ich gebe mir Mühe es mir vorzustellen. Ihr werdet sicher bei Son¬
nenschein und blauem Himmel ankommen, denn auch hier ist ein schöner
Tag, nur sehr stürmisch. Die Fenster klappern.

Ich liege natürlich im Bett. Gestern um ½10 Uhr abends,
Du warst wohl gerade auf der Fahrt zur Bahn – hatte ich wieder einen
schrecklichen Anfall. Während ich mich in Schmerzen ward, musste ich im¬
mer denken, dass die O. Euch vielleicht an die Bahn begleitet und ich
sah Euch zusammen im Auto und dann am Perron Abschied nehmen und ich
fühlte mich sehr elend. Da nahm ich das Morphium und die Schmerzen
hörten langsam auf und meine Gedanken wurden apathisch und schläfrig.
Eigentlich sehr angenehm.

Ich weiss sehr gut, mein Liebes, dass die O. in Deinen Gefühlen
keine Rolle mehr spielt – so etwas spürt man – aber Du musst doch ver¬
stehen, wie schrecklich mir ihre geschmack- und taktlose Anwesenheit auf
die Nerven geht und zu meiner allgemeinen Depression beiträgt. Ich möch¬
te so gerne bald gesund sein und sehe noch kein Ende. Ich komme mir so
minderwertig und belastend vor und das ertrag ich nicht.

Leider musste ich hier unterbrechen, da ich wieder einen Anfall
hatte und vielleicht den stärksten von allen und leider fängt das Mor¬
phiummittel an die Wirkung zu versagen. Emma hat den Karl telefonisch
berufen und er hat den Dozenten Elias für 6 Uhr abend bestellt. Ich bin
sehr froh, dass Du nicht da bist und ein paar schöne gute Tage dort haben
wirst, mein Liebes. Sei nicht böse, dass ich für heute nicht mehr schrei¬
be, aber ich bin jetzt sehr müde. Gisela B. und Byk habe ich eben für heu¬
te abgesagt, da ich mich nicht beauchsfähig fühle. Ich bin mit tausend
guten Gedanken bei Dir und umarme Dich.

Deine C.K.