Wien, 29. Dezember1926, 8 Uhr Früh.
An A.S. Berlin.
Guten Morgen, mein sehr Liebes. Der Regen prasselt an die Fenster¬
scheiben. Es ist grauenhaft draussen und ich kann mich noch nicht
entschliessen aufzustehen, schreibe Dir lieber so lange ich in der
Wärme meines Bettes bin. Gestern Früh kam Dein lieber Brief vom
26., den ich Dir schon bestätigt habe, am späten Nachmittag Karte und
Brief vom 27. Es war also ein ausgesprochen angenehmer Tag. Aber
ich fürchte heute wird "nix" kommen. Gestern Vormittag war ich wie¬
der einmal in der Stadt, aber nur ganz kurz. Dann bei der Manikür am
Schottenring, Mittag mit Cary zuhause gegessen, Nachmittag »Komödie der
Verführung« übersetzt. Es ging besonders gut und ich habe nur mehr
zehnSeiten vom ersten Akt. Dann will ich es mit irgend einem gebore¬
nen Franzosen oder eine Französin durchgehen und dann von Frieda abschrei¬
ben lassen. In längstens 14 Tage hoffe ich ist es absendungsbereit.
Am Abend nachtmahlten Otto und Cary bei mir. Otto ist so ein lieber
Kerl,ich bin immer von Zärtlichkeit für ihn erfüllt. Heute Vormit¬
tag erwarte ich Frieda, um das geänderte Jo-Kapitel zu Ende zu dik¬
tieren, am Nachmittag Emmy Erl. und Lotte M. zum Thee. Heute will
ich mir auch die »Treppe« wieder ansehen. In 14 Tagen möchte ich
mit was Neuem beginnen, wahrscheinlich mit den Vorarbeiten für die
"Charlotte". Ich bin schon begierig zu hören, zu was Du Dich ent¬
schlossen hast. Warum gibst Du den Filmmenschen nicht einfach die
»Else« und die »Traumnovelle« in die Hand und sagst, sie sollen lesen.
Die Leute sind ja so faul, man muss es ihnen bequem machen und beim
Film, der ja doch hauptsächlich eine materielle Angelegenheit ist,
tät ich es schon. Wie stehen die Fil[m]verhandlungen wegen des »Spiel
im Morgengrauen“? – Ich begreife nicht, dass dem Brief aus Venedig,
wie Du schreibst, so gar nichts zu entnehmen ist. Hast Du das Ge¬
fühl einer Enttäuschung bei Lili? Ich bin neugierig,ob Dora M.
meine beiden Novellen gefallen haben und was sie Dir darüber sagt.