Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 5.–10. September 1926


über neue Arbeiten, Kritiker, Freunde etc. Wetter trüb.

Nachmittag. Ich habe Herzklopfen – Reisefieber.

6.9. Schwerer Abschied. A. dankt mir für diese glückliche Zeit.
Ich sagte: »Ich bin so froh, dass Du meiner in diesem langen Zu¬
sammensein nicht überdrüssig wurdest«. Er sagte: »Bei Gott, das bin
ich nicht« und ich weiss, er empfindet, dass es noch länger so blei¬
ben dürfte – -

Als seine Gestalt auf dem Perron immer kleiner, immer ferner wurde,
hätte ich weinen können und doch – es ist gut, dass wir ein paar
Tage getrennt sind, dass wir in einer so glücklichen, zärtlichen
Stimmung auseinandergehen. Ich danke dir Gott für diese glückliche
Zeit. Gib uns allen ein gutes Wiedersehen, einen guten Winter.

Ich freue mich auf Carly und seine Braut. Aus der zärtlichen Gelieb¬
ten werde ich zur zärtlichen Mutter, Schwiegermutter. Drollig ist
das Leben!

Altaussee.

Hier war ich als ganz junges Mädel, als junge Frau mit dem zwei
Monate alten Harry, als unglückliche junge Frau als ich meinen
zweiten Sohn erwartete und mein Mann eine seiner Geliebten mit hat¬
te und heute als angehende Schwiegermutter glücklich, zufrieden.
Nächstens wohl Grossmutter – und bei alledem jung, sehr jung.

Carry und Magda waren an der Bahn. Magda bildschön. Carry strahlend.
Sehr nette Stunden im Hause von Wellesz, hübsche Spaziergänge mit
Frieda P. um den See und zum Bärenmoos und mit Emmy W. auf den
Blaawiesen. Ich fühle mich nur leider physisch gar nicht wohl, Darm¬
zustände, die schon in Luzern anfingen und mich sehr hernehmen.
Von A. zwei liebe Briefe, zwei Karten.

10.9. Ein blauer schöner Tag steigt aus dem Morgennebel hervor.