Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 30. Juli 1926

An A.S. nach Adelboden.

Wien, 30.7.1926. ½5 Uhr Früh.

Liebster, guten Morgen ich kann nicht mehr schlafen, wohl weil ich
gestern schon um ½8 Uhr im Bett lag und mir um 10 die Augen zufielen.
Mir war gestern recht elend und ich denke, ich werde heute den ganzen
Tag liegen.–Uebrigens prasselt wieder der Regen gegen die Fenster.

Ich habe den »Laudin« zu Ende gelesen mit einem unangenehmen
Nachgeschmack trotz aller Anerkennung. Keine Logik, keine Wahrheit. Die
Pia, aus der viel zu machen wäre, ist konstruiert und nicht empfunden.-
Ich will mir jetzt Verschiedenes über Charlotte Corday als Sommerlektüre
beschaffen – Vorarbeiten! Gestern noch Korrektur aus der »Else« heraus¬
geschrieben, die ich heute oder morgen der Frieda diktieren werde. Am 4.
Kapitel nur wenige Zeilen weitergekommen, aber das Ganze gründlich über¬
dacht.

Wie lange Du schon fort bist. Es dünkt mich Ewigkeiten, dass ich
Dich zuletzt gesprochen habe. Jetzt will ich versuchen noch ein wenig
zu schlafen, aber ich fürchte, es wird nicht gehen.

3 Uhr Nachmittag.

Ich bin wirklich im Bett geblieben – mir ist zu miserabel, auch
versäumt man nichts. Wolkenbruchartige Regengüsse. Ich liege und denke
und schreibe und träume und schlafe, nur fliegen und sterben tue ich
nicht, weil ich kein Veronal getrunken habe, aber allein bin ich – sehr
allein. Dein Bedürfnis an Alleinsein für meine Person dürfte schon be¬
friedigt sein und Du wirst begreifen, dass ich es mir nicht besonders zu
wünschen brauche. Frieda hat heute keine Zeit für mich. Das 4. Kapitel geht
langsam vorwärts und keinesfalls werde ich es vor meiner Abreise fertig
bringen. Uebrigens werde ich ja erst Deiner Antwort entnehmen, was aus mir
wird. Ich habe ein Chroniktagebuch begonnen und will es womöglich weiter
führen bis an mein Lebensende, was viel und auch wenig sein kann. Ich habe
mir das schon öfters vorgenommen und habe dann doch immer wieder aufgehört-
nicht aus Inkonsequenz, sondern aus gewissen Hemmungen heraus. Ich schrei¬
be lieber gar nicht als unaufrichtig.