Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 26. April 1926


fort und ich bin ganz allein. Ich geniesse das sehr. Meine Schwester
ist der beste Mensch der Welt, aber mein Nervenzustand verträgt
die Ueberspanntheit, das Abnormale nicht gut. Dabei bin ich unausgesetzt
von einem tiefen Mitleid für sie erfüllt, denn ihr Leben und besonders
diese Kinder sind so schwierig und sie ihnen so gar nicht gewachsen.
Aber das ist zu uninteressant für Dich. Gestern Vormittag zwang sie
mich in ein grosses religiöses Gespräch, obwohl ich sie bat mich davon zu dis¬
pensieren, da ich meine Unduldsamkeit in diesen Dingen gerne zugebe.
Als sie aber darauf bestand sagte ich ihr unter anderm, dass der Be¬
griff Gott etwas viel zu Grosses für mich bedeutet, als dass ich an eine
Vermittlung durch Kreuze, xxx Kniefälle und Rosenkränze glauben könn¬
te. Sie warf mir vor, dass ich Gott zu wenig ausserhalb mir suche und
mir die »göttliche Gnade« nichts bedeutet. Ich frug sie, was sie darunter
verstehe. »Von der Welt erlöst sein«, erklärte sie. Ich antwortete eher
grob. Dazu müsse man sich aufhängen oder erschiessen, dann sei man von
der Welt erlöst. Für mich heisst beten – gute und schöne Gedanken haben,
die Empfindungen, die Natur, Musik und jede Kunst in einem höhern Sinn
in mir auslösen, alle guten Gefühle, die mich über den Alltag erheben,
zeigen mir Wege zu Gott oder vielleicht richtiger zu Göttlichem und
sind Gebete.–Da ich weder die Absicht habe Dir philosophische noch
literarische Briefe zu schreiben, sondern nur, was mir gerade einfällt,
will ich diese Debatten in ihrer ganzen Ausdehnung, die ja doch einen
kreisförmigen Charakter hatten, nicht weiter referieren.

Am 24. solltest Du in Lissabon sein und jetzt ist noch kein
Telegramm da, sonst hätte mir Cary, wie verabredet, heute Früh heraustele¬
foniert.–Jetzt werde ich die Augen schliessen und mich von der Sonne
bescheinen lassen. - - - - -