Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 22.–23. April 1926

Heute Nachmittag holte mich meine Schwägerin Hedwig mit
dem Auto. Wir waren am Cobenzl, gingen oben eine Stunde spazieren. Das
Wetter trüb – einem tristen Herbsttag ähnlich. Nie habe ich so wenig
den Frühling empfunden, wie bisher.

Jetzt will ich baden, im Bett nachtmahlen, mit Cary noch
eine Weile reden und dann schlafen. Gute Nacht für heute.

Mödling, 23.4.1926.

Heute Früh vor meiner Abreise von Wien erhielt ich Deine
lieben Zeilen aus Neapel. Der Brief aus Patras ist noch nicht angekom¬
men und ich fürchte, dass er verloren ist. Das wäre sehr sehr schade
bei der Seltenheit der Nachrichten. Und dann – vielleicht steht gerade
in dem Brief etwas besonders Nettes drin – - vielleicht! Dein Bild
hat mich sehr gefreut, denn es ist ganz besonders gut und ich bin
auch sehr froh zu hören, dass Du Dich so wohl fühlst. Zwing Dich nur
ja nicht zum Lesen oder Schreiben, dieses vollständige Ausspannen
wird Dir sicher sehr gut tun.

Ich bin seit 3 Uhr hier in M. Leider ist es kühl und trüb
und ich fürchte, meine Sonnensehnsucht wird nicht befriedigt werden.
Ich friere sehr in dem ungeheizten Haus.

Es sind genau 3 Jahre her, dass ich das letzte Mal hier zu
Gast war. Es war während Deiner Reise nach Dänemark und ich beriet
mit mir selbst, ob ich Dich als Abenteuer, als Episode auffassen, oder
mich hemmungslos den Gefahren einer ernsthaften Beziehung aussetzen
sollte. – Damals war ich kühl, überlegen und mein Herz war wenig
dabei – Soll ich jetzt noch etwas hinzufügen? Du weisst ja doch al¬
les, was ich sagen könnte und möchte. »Und als Geschenk sich selbst
stets zu bewahren« – diese Weisheit der Leonilda liegt mir nicht.
Wer so empfindet kann nicht lieben und wäre ich ihr Vater, dann würde