Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 17. April 1926

An A.S.

Wien, 17. April 1926.

(Mittelmeerreise mit Lili)

Mein Liebes,

ich fange schon heute an Dir schreiben, da ich diesen
ersten Brief morgen Sonntag in den Kasten stecken möchte, so dass er
am 19. an aller Früh ausgehoben wird. Es regnet seit heute Vormittag
und es ist wieder so kalt, dass ich das Petroleumöfchen ganz nahe bei
mir stehen habe, um nicht zu frieren und es macht mir Mühe mir vor¬
zustellen, dass Du zwischen einem blauen Himmel und glitzernden Welle
irgendwo im Sonnenschein dahinfährst. Ich hoffe nur, dass es so ist,
dass Du gutes Wetter hast, dass Du Dich wohl fühlst und sehr sehr er¬
holst.

Ich denke an Dich ohne Groll und Bitterkeit. Ich denke in
Herzlichkeit an Dich, aber in mir ist noch eine grosse Traurigkeit und
ich bin sehr müde.

Donnerstag Abend war ich noch bei Hermine, da ich nicht mit mir
allein sein wollte, war um 10 Uhr zuhause und schlief, mit Schlafmittel
natürlich, bis 6 Uhr Früh. Gestern Vormittag war ich zuerst am Fried¬
hof (Sterbetag meines Mannes) und dann in der Stadt. Um ½7 zuhause,
da ich Hanna Schiff (die Uebersetzerin) erwartete. Sie kam auch pünkt¬
lich ein recht farbloses Wesen, Lehrerinnentypus. Ich gab ihr Probe¬
weise einen Brief aus dem »Tod der Gräfin Anastasia« zum übersetzen,
den ich dann einem Sachverständigen zeigen werde, ehe wir eines schrift¬
liche Abmachung treffen. Den übrigen Abend blieb ich allein und habe
das Buch von Lucka mit grossem Interesse zu lesen begonnen, – wenn
ich auch jetzt schon nicht mit allem einverstanden bin. Meiner Meinung
nach hat es eine Liebe schon viel früher gegeben als Lucka annimmt,
siehe Jakob und Rahel. Warum liebt er Jakob Rahels Sohn besonders, wenn
nicht auch meine Seele mit dabei gewesen wäre aber ich habe keine
Lust einen philosophischen Brief zu schreiben, sonst würde er sehr
lang und vielleicht auch langweilig. – Ich habe diese Nacht versucht
ohne Schlafmittel zu schlafen, bin mindestens zehnmal aufgewacht, hatte