Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 13. Oktober 1925

Wien, 13.10.1925.

An A.S., Berlin.

Mein Liebstes,

heute wird es wirklich kaum mehr als ein Chronikbericht
werden, denn meine Geistes- und Lebenskräfte nehmen zusehends ab. In
der Früh um 7 Uhr aufgestanden, aufgeräumt, um ½ 10 bereits in die
Stadt gelaufen. Zuerst Bodenkredit, dann in die Spitzenindustrie zur
Schätzung des bewussten Spitzentuches. Es wurde auf 30 Millionen ge¬
schätzt und man würde es dort eventuell zum kommissionsweisen Verkauf
übernehmen. Verschleudern wär ein Jammer, denn man sagte mir, dass das
Tuch fabelhaft ist und zu einer andern Zeit viel mehr wert gewesen
ist, als 30 Millionen Kr.

Dann noch ein paar kleine Besorgungen, um 11 wieder zu¬
haus. Ich wartete auf einen Rechtsanwalt, der drei Kanzleiräume sucht
und sich für 12 angesagt hatte, aber er kam nicht. Eben war ein junges
Ehepaar hier, die drei Zimmer mit Küche wollten, aber die Zimmer waren
ihnen zu gross. Meine Nerven sind manchem Augenblick dem Zerplatzen
nahe und es nützt nicht viel, wenn man sich sagt, dass es Andern noch
schlechter geht.

Hoffentlich hast Du die unangenehmen Unterredungen schon
hinter Dir und ich sehe mit Spannung Deinem ersten Bericht entgegen.
Hast Du schon Nachricht aus Venedig?

Heute ist hier ein kalter, grauer Tag und ich werde
mich wohl morgen entschliessen müssen zu heizen.

Gott, wenn ich nur schon einmal zur Ruhe käme, mich
in mein Zimmer einsperren und arbeiten könnte. Wenn ich nur über die
ärgsten Sorgen hinaus wär. Aber ich sehe schon, wie ich die Wohnung,
so wie im Vorjahr vermieten und mir irgendwo ein Zimmer suchen muss
oder – es findet sich überhaupt nichts. Aber es ist so dumm Dir das
alles zu erzählen, denn Du weisst es ohnedies und es ist nicht sehr
amüsant. Wenn man so viele Stunden ganz allein ist mit seinen wenig