An A.S. Karerpass-Hotel
Riva, 7.8.1925.
7 Uhr Abend.
Mein Liebstes,
ich bin vor einer Stunde von unserm Ausflug nach Gardone
zurückgekehrt und habe vergeblich gehofft ein paar Zeilen von Dir
vorzufinden. Ich bin überzeugt, es ist nicht Deine Schuld und die
Post hieher braucht nur so schrecklich lang. Bitte bestätige mir
nur bald den Empfang meiner Briefe I und II. Den gestrigen rekom-
mandierten trug ich selbst zur Post. Als mir der Beamte auf das
Rezepisse »Bolzano« schrieb (was ich bei meiner Genauigkeit gleich
bemerkte, zeigte ich ihm, der Brief sei doch nach Karerpass-Hotel bei
Karersee adressiert. Er antwortete mir, er kenne diese Orte nicht,
das seien keine italienische Namen. Ich sagte ihm, ich könne mich
auf den italienischen Namen nicht beginnen, worauf er sich erkundi-
gen ging und dann triumphierend den Namen »Carezza« dazuschrieb.
Ich hoffe, der Brief gelangt trotz der verschiedenen Bezeichnungen
in Deinen Besitz, denn es war ein sehr langer Brief.
Neues seit gestern: Als wir gestern nach dem Nachtmahl
in der Halle sassen, gesellte sich der einzige gut, d.h. recht elegant
aussehende Herr, der hier ist, zu uns und bandelte wie Carli an. Er
hielt mich nämlich für Carlis Schwester und war sprachlos als ich
mich als Mutter entpuppte. Er ist zirka 65 Jahre alt, Privatier
aus Wien, heisst von Felsenberg, ist Witwer, hat eine verheiratete
Tochter, ist Kirchenvater von St. Ruprecht, ganz sympathisch, aber zu
gesprächig und etwas zudringlich, fürchte ich. Er hat sich uns auch
auf dem heutigen Ausflug nach Gardone angeschlossen. Aber ich ver-
sichere Dich, dass ich trotz meiner beiden Kavaliere alle Entschei-
dungen selbst treffen musste, dass sie nicht fähig waren das Schiff
für die Rückfahrt herauszufinden oder irgend einen vernünftigen Ge-
danken zu fassen. Ich musste immer daran denken, wie schön und sorg-
los das Reisen an Deiner Seite ist und überhaupt hätte ich diesen