Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 21.–23. Juni 1925


ein wenig spazieren gehen.

22.6. Keinerlei Nachricht von A. Auf Brief und Telegramm antwortlos.
Weiss nicht, was in seine Hände gelangt ist, da er bei »ihr« wohnt. Mein
Befinden sehr mässig, weiss nicht – soll ich fahren, soll ich bleiben.
Nie wieder lass ich mich auf so eine Verabredung ein. Es regnet, es ist
kalt, ich habe seit drei Tagen keinen Menschen gesprochen, kein bekann
tes Gesicht gesehen.

Nachmittag. Endlichsein Telegramm: »Tausend Grüsse – gutes Wiedersehen -
freue mich sehr. A.« Es ist gut, denn meine Nervosität war schon arg.
Bleibt noch immer ein Rätsel, warum er nicht schrieb. Ich werde froh
sein, wenn ich in Innsbruck mit ihm zusammengetroffen sein werde, trotz-
dem ich mir nicht viel Gutes von dieser Reise erwarte. Aber allein sein
ist schrecklich. Und dann – ich habe ihn ja doch sehr gerne.–Es ist
jämmerlich kalt und ich habe solche Angst krank zu werden und alles zu
verpatzen.

23.6. Jetzt bin ich im Zug nach Innsbruck.–Es regnet – Heute Nacht
hat A. von München aus noch angerufen, aber ich war schon schlafen ge-
gangen. Weiss nicht, was er noch sagen wollte. Meine Nerven sind zum
Zerspringen. Ich fürchte mich, dass irgend etwas nicht stimmen wird und
wir nicht zusammentreffen. Was fang ich dann an? Mein Koffer ist pro-
grammgemäss direkt nach Meran gegangen, also muss ich hinfahren. Lieber
Gott, schütze mich und lass diese Begegnung eine gute und frohe sein. -
19 vorbei. Die Sonne wagt sich schüchtern hervor – eigentümlich zu den-
ken, dass wir nun doch einander entgegenfahren.

Und nun sitzen wir wirklich zusammen im selben Coupé und küssen uns
in jedem Tunnel und ich vergesse an alles, was ich gegen ihn auf dem
Herzen hatte.

Meran. Gleich nach der Ankunft hier im Hotel hatte ich einen argen An-
fall von Herzschwäche; mit starkem schwarzen Kaffee rasch behoben.
Abends sehr hübsch, obwohl ich sehr schläfrig war - - - -