Celerina (nach Se[e]lisberg)
8.8.1924. Früh.
Mein sehr Liebes, alles verlief bisher programmgemäss. In Chur, Stein¬
bock, Forelle und Omelette. Zimmerschwierigkeiten. Nach Thusis tele¬
foniert; desgleichen. Nach ½6 kam der Zug aus Baden-Baden an brachte
nur O.; – Lili war aus gewissen technischen Gründen mit Salzens vor
drei Tagen vorausgefahren; – O. war sehr einverstanden gleich weiter
zu reisen; – trotz erheblicher Rekonvalescentenmattigkeit Gespräch
über die Erkrankung und alles was damit zusammenhängt; über die Kinder.
Keine Frage (und auch nicht das geringste Interesse) woher ich kam
der Fahrt. So kam ich denn für meinen Teil mit einstündiger Verspä¬
tung in Celerina an; – ein Zimmer war bereit (das Hotel Überfüllt) -
ganz nach meinem Geschmack; der Direktor (ich könnte ihn nicht schöner
dichten) hatte sogar für einen zweiten Tisch gesorgt.–Beiläufige Toi¬
lette – im Speisesaal ganz allein (zur Abwechslung) eine Forelle (für
eine Familie ausreichend, aber ich erledigte sie spielend – es waren
übrigens zwei Forellen); und ein Emmenthaler in Schweizerhaus-Vor¬
trefflichkeit – die Bar – (auch das gibts) -wo Smokings wimmeln,– ein
junger Herr aus Prag bestellt mir einen Gruss seiner Mutter, die in
Cresta Kulm wohnt (Bekannte von circa dreissig Jahren her, Direktor
Ziegler). Ich blättere in dem (übrigens völlig leeren) Lesesaal in
französischen Zeitungen, entdecke, dass in der [L']Illust[r]ation der Roman
von Paul Zifferer..Kaiserstadt, übersetzt von Marcel Dunan erscheint
(Z. Presseattaché unserer Gesandtschaft in Paris..an der Quelle sass
der Knabe...) und lese einen chauvenistischen Artikel des alten
Paul Bourget, der kaum mehr in den Krieg wird müssen) über ein
Kriegstagebuch des jungen Barres. Hoffnungslos.
Ganz gut geschlafen, allzu viel etwas wirr geträumt, von Beer-Hofmann;
fremder Stadt, Gersthof, Traumway-Nachlaufen u.s.w.-
Regen, auffallend warm. Köstliches Frühstück in dem neuen getäfelten
Frühstücksaal. Aber ich bin gar nicht so gefrässig, als es nach diesen
Brief den Anschein hat.