Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 1. Juli 1924


Literatur. Es muss doch einmal Menschen gegeben haben, die zu lieben
verstanden und für die die Liebe etwas sehr Kostbares, etwas sehr
Heiliges war.

Wenn ich nur wüsste wann Du zuletzt in diesem Buche gelesen hast, wann
diese Stellen angestrichen wurden.
2. Juli Mittwoch Abend 8 Uhr.

Das war heute ein sehr anstrengender Tag. Ich war schon vor 8 Uhr
auf der czechischen Passtelle und stand dort eingekeilt in einer ver-
schwitzten, übelriechenden, unabsehbaren Menschenmenge bis 12 Uhr Mittag.
Ich bekam dann endlich meinen Pass, weil ich simulierte, ich sei herz¬
krank und am Zusammenbrechen. Es ist doch ganz gut, wenn man auch
Theater spielen kann. Ich kam aber völlig erschöpft nachhause und
gleich darauf erschien unangesagt Delitz, der mir noch seine Unschuld
beteuern wollte. Man hat ihm mit dem Seitz, den er zeichnen sollte,
dieselbe Sache gemacht. Er ist sehr unglücklich, denn er hätte speziell
Dich so gerne gezeichnet, weil ihn Dein Kopf so interessiert. Er hofft
noch immer! Ich habe gehofft, einen Brief von Dir vorzufinden, aber
leider kam keine Zeile. Ich lasse diesen Brief daher bis morgen liegen.
Heute kamen auch die ersten Korrekturbogen der Neuen Freien Presse. Ich
bin sehr, sehr müde und auch verstimmt – Wenn Du Montag geschrieben
hättest, wäre der Brief heute hier. Gute Nacht, indessen.

Donnerstag Früh. Eben kommt Deine liebe Karte vom Montag und der liebe
Dienstag-Brief. Ich freue mich über Deine Schlussworte, ich freut mich,
dass Du Dich nach mir sehnst, ich freue mich, dass es mir auch nicht
anders geht und dass wir wohl Beide fühlen, wie tief innerlich wir zu
einander gehören.

Ich hoffe, dass Du Dich trotz aller unliebsamen Unterredungen durch
die gute Luft und viele Spaziergänge erholt hast und ich möchte gerne
Deinen lieben Kopf zwischen meine Hände nehmen und alle sorgenvollen
Gedanken wegküssen.