Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 20. Juli 1923

Berlin, Hotel Bristol, 20.7.1923.

Mein Freund, wie ich Dir gestern telegraphierte, fahre ich nach Weimar,
wo ich heute gegen Abend einzutreffen hoffe.

Wie das kam?

Wir wollten eben das Hotel verlassen, um über München an den Boden¬
see zu fahren, als Freunde von Harry auftauchten und er mich glatt
im Stich liess, um mit ihnen nach Binz zu gehen, (Leute, mit denen ich
nicht verkehre). Er frug natürlich, ob ich es ihm erlaube, aber konnte
ich denn "Nein" sagen? Ein weiteres Zusammenreisen wäre auf ein
Nein hin, bei dem Wesen dieses Buben ganz undenkbar gewesen.
Er nahm das Ja an, obwohl er genau sehen konnte, wie erregt ich war.
Wenn ich denke, dass ich diese ganze Reise doch nur seinetwegen an-
getreten habe und wie gern ich noch in Wien geblieben wäre. – So ent-
schloss ich mich rasch über Berlin nach Weimar zu gehen und dort bis
26. zu bleiben und Deine Entschlüsse oder Wünsche zu erwarten. Ich
wollte schon heute Früh nach Weimar weiterfahren, aber ich kam derart
erschöpft gestern Nachmittag zu Direktor Feilchenfeld ins Bureau, dass
ich dort zusammenklappte, das hei ist, ich hatte eine kleine Ohnmacht.
Direktor Feilchenfeld war riesig gut zu mir, rief einen Arzt, man gab
mir schwarzen Kaffee und rieb mich mit Kölnerwasser und als ich ein
wenig erholt war, fuhr ich mit einer empfehlenden Karte von ihm ins
Hotel Bristol, wo ich ein herrliches Zimmer bekam und sehr gut aufge-
hoben bin. Ich lag schon um 9 Uhr im Bett und habe bis 5 Uhr geschla-
fen. Um 2 Uhr will ich weiterreisen und hoffe mich in W. etwas zu er-
holen. Du musst denken, ich bin eigentlich seit Samstag, seit meiner Ab-
reise noch nicht zur Ruh gekommen, Aerger, Aufregung, Strapazen und die
unleidlichen Zustände in Deutschland. Ein kleines Beispiel. Man bekommt
nur 10.000 Mark, keine grösseren Noten in der Bank. Behebt man also ein
paar Millionen, so schleppt man Berge von Papier mit sich herum, die