Häringsdorf 18.7.1923.
Kurhaus Atlantic.
Mein Freund.
Wir haben es hier mit dem Aufenthalt sehr schlecht getroffen und
ich weiss nicht, was werden wird.
Wir sind gestern Nachmittag hier eingetroffen und fanden zwei schäbige
Zimmer vor, das eine noch nicht einmal eingerichtet. Bett und ein
dürftiger Waschtisch wurden erst aufgestellt. Und dafür rech¬
net man 600.000 Mark im Tag. Also undurchführbar. Der Luxus des Hotels
besteht in einer ordinär grellen Halle, einer Aufmachung wie in einem
Varietée letzter Klasse, fortwährend spielenden Jazzbands und einem
furchtbaren Schieberpublikum, gemischt mit eindeutiger Weiblichkeit. Der
Besitzer ein schwerer Jud macht den denkbar schlechtesten Eindruck, so
dass man mit ihm gar nicht reden kann. Es wäre natürlich das einzig
Vernünftige gleich hier fort und an den Bodensee zu fahren, von dort
eventuell in den Schwarzwald. Aber mein Sohn Harry und Vernunft sind
leider zweierlei.–
So bin ich nach einer schlaflosen Nacht und ganz erschöpft stunden-
lang mit ihm herumgerannt, war auch in »Bansin«, einem kleinen, sehr lie¬
ben Seebad gleich neben Häringsdorf, aber es ist hier nirgends etwas
frei. Einige Portiers, denen ich »Erkenntlichkeit« in Aussicht stell¬
te, machten vage Versprechungen. Sollte ich bis morgen Mittags nichts
gefunden haben, so würde ich mit Harry bis Mittwoch, also cca eine
Woche hier bleiben, da er sich nun mal auf das Meer kapriziert und
dann doch mit ihm direkt nach Constanz. Sobald ich irgend eine Adress¬
änderung weiss telegraphiere ich Dir und dann schreibe mir express
dahin. Briefe kommen erst am fünften Tag an und ich sehne mich schon
nach einem Brief von Dir. Ich fühle mich so schrecklich einsam. Die¬
ser Bub ist mir so fremd, sein Wesen hat etwas so unnatürlich Geschraubtes,
ich fühle mich nie ein bischen gemütlich wie mit Carly.