Meine Antwort
30 Aug 1931
Mein liebes Kind
Ich würde gerne auf Deine wenigen Worte eben so kurz erwidern, aber ich
fürchte es wird mir nicht gelingen.
Ich bin in diesen einundeinhalb Jahren, durch eine solche Fülle von Leiden ge¬
gangen, dass meine psychische Verfassung nicht mehr normal zu nen¬
nen ist und damit möchte ich meine Haltlosigkeit am gestrigen Abend entschul¬
digen, eine Haltlosigkeit die sonst nicht meine Art ist aber durch meine in¬
nere Gebrochenheit mit einigem Verstehen wo[h]l zu rechtfertigen wäre. Aber wie
immer – es war eine Schuld, dass ich hinüber kam und eine noch grössere
dass ich meiner Empörung nicht Herr zu werden vermochte. Das ist aber auch
Alles dessen ich mich schuldig fühle, so tief ich auch in mich hinein schaue.
Ich bin von Dir fortgegangen, weil ich diesen ewigen Scenen ein Ende
bereiten wollte und weil ich in einer Atmosphäre von Lüge Heimlichkeit und
Unaufrichtigkeit nicht zu existieren vermag. Dr D. hat es versucht mir plau¬
siebel zu machen, dass noch Alles gut schön werden kann. Er hat
sich mit ehrlichem Herzen und mit wirklicher Wärme die ich ihm nie vergessen
werde um die Neu-Belebung dieser Beziehung bemüht. Se[i]ne Bemühungen haben
an deiner inneren Einstellung und an meiner physischen und psychischen Ver¬
fassung versagt.
Als du nach einer Trennung von vier Wochen, (und nach Allem was diesen [v]o¬
rangieng) in mein Zimmer tratst und mich kühl frugst – was ich zu tun geden¬
ke wuste ich, dass nichts mehr zu hoffen war und diese Hoffnungslosigkeit
wollte ich mit dem Tod auslöschen. Nicht meine Schuld, dass es mis[s]lungen ist.
Kaum aber begann ich wieder zu athmen, – standest du an meinem Bett mit dem
Programm »Freundschaft Freiheit«. Und ich bin so müde gewesen, dass ich
jetzt bereit war darauf einzugehen, wenn es eine Freiheit in jenem Ausmaas
ist, dass Eines dem Andern zugestehen und eingestehen kann ohne zu kränken
oder zu verletzen.–
Du schreibst in deinem Brief: Umsomehr als ja für keinen von Beiden eine