Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 3. Juli 1930

Karlsbad, 3.7.1930. Haus Osborn.

Lieber Arthur, ich schreibe diesen Bericht, denn nichts anderes
soll es werden – ohne die bestimmte Absicht ihn vorläufig abzusen¬
den. Wenn man die entsprechenden Gebärden macht kommt man immer
an das zugehörige Ziel und so bin ich auch hieher gelangt.

Die Reise war recht grauslich, wir waren zu Fünft im Coupé
gegen Schluss sogar sechs. Der Dicke mir gegenüber in Hemdärmeln,
stopfte sich ein Taschentuch unters Kinn, um den Schweiss aufzu¬
fangen. Das Ehepaar sprach einen dem Italienischen verwandten Dialekt,
z.B. "dupo tri" anstatt "doppo le trei". Der Mann sass auch
bald in Hemdärmeln da und die Frau öffnete hie und da ihr Ne¬
cessaire aus Krokodillederimitation, in dem es aussah, wie in einem
Misttrügel und wusch sich das Gesicht mit einem auf¬
dringlich und minder duftenden Parfum. Der dritte Fahngast in
einem grelllila bedruckten Hemd sah nach Exverbrecher aus und
antwortete auf die Fragen des Ehepaares in jüdelndem Deutsch mit
amerikanischer Aussprache, dass er aus Oesterreich stamme und in
NewYork lebe. Ich rührte mich nicht von meinem Fensterplatz,
nährte mich von dem mitgebrachten Schinken und kaufte mir in Ma¬
rienbad zwei Oblaten um vier Czechenkronen.

Der Fensterplatz, der übrigens auf der Anweisung in der
Fahrtrichtung angegeben wurde, war und blieb gegen die Fahrt¬
richtung. Für empfindlichere Leute als ich es bin recht peinlich.
Ich gedenke es dem Beschwerdebuch der Neuen Freien Presse mitzu¬
teilen.

Hier grosser Zollrummel am Bahnhof, nur um einen aufzu¬
halten. Ich bin so erschöpft, dass mir Karlsbad bei der Ankunft kei¬
nerlei Eindruck macht. Ueber Autospesen und Zimmer habe ich schon
berichtet. Jetzt habe ich ein Zimmer in der Art wie das im Hotel
Regina. Die Grösse dürfte stimmen. Es ist heller, aber etwas unmo¬
derner möbliert. Plüschmöbel, Kasten und Kommode wohl aus den 80iger