Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 30. Dezember 1929 – 6. Januar 1930

30.12. Gemütlicher Abend mit Wellecz, Frieda und Bruder bei mir. Ich
schien lustiger als mir innerlich zumut war.

31.12. Abends 10 Uhr. Der zweite einsame Sylvester meines Lebens. Von
A. noch keine Zeile.

Nachdem ich leider schon vorgestern geschrieben habe schickte ich heute
nur telegraphische Wünsche ab. Es ist besser so. Alles kommt, wie es
kommen muss. Es wäre undankbar über das verflossene Jahr zu schimpfen,
es hat nichts wirklich Böses gebracht, aber zu sagen, es sei gut gewesen, -
das vermag ich doch nicht.

Gott erhalte alle Menschen, die ich lieb hab, gesund. Um mehr vermag ich
nicht zu bitten-Schlafmittel und zu Bett.

1930.

6.1. Spärliche Briefe. Belanglose kurze telefonische Gespräche mit A.
Brief von Alma. Bedürfnis mich zu sehen, zu sprechen, grosse Herzlichkeit.

Besuch bei Alma. Sie erzählt, A. habe sie letzthin bei Trebitsch inter¬
pelliert, warum sie nicht mehr mit der O. verkehrt. Die O. kränke sich
darüber, sie schreibe das in jedem Brief. Anna sagte: »Es ist doch merk¬
würdig, was für ein Interesse er noch immer für diese Frau hat. Ich kann
ihm doch nicht sagen, sie hat sich nach dem Tod ihres Kindes so widerwär¬
tig benommen, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Sie hat, als sie Lilis
Leiche zum ersten Mal gegenüberstand, gesagt: »Man sollte ihr die Röcke
aufheben und sie prügeln«. Und auf den Ausspruch ist sie so stolz, dass
sie damit reist. Jetzt spricht sie von sich selbst immer per »das
Olgalein«. Z.B. »Nicht so streng sein mit dem armen Olgalein«. Der 49.
jährige Backfisch!

Uebrigens wird mir Alma dadurch keineswegs sympathischer. Sie ist ganz
sicher unfein. Warum sagt sie mir z.B., es sei nicht schön, dass A. mich