Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 20. September 1929

An A.S.Marienbad.

Wien, 20.9.1929.

Mein Liebes,

ich bin so froh, dass Du mich angerufen hast und dadurch
diese grässliche Spannung und Depression von mir gewichen ist. Schau,
mein Liebes, mit einiger Einsicht musst Du doch verstehen, dass man
verstimmt ist, wenn man am 6. Tag nach diesem zärtlichen Abschied in
Nürnberg noch keinen Brief (er kam erst am 8. Tag), nur eine gekritzel¬
te Karte hat und keine Antwort auf zwei besonders liebe Schreiben.

Dass ein Brief von Dir verloren ging, konnte ich doch
nicht wissen. Du hättest also meine Montag-Abend-Karte begreifen
können und anstatt böse zu sein und mich kurz zu halten erst recht
und rasch ein paar liebe, herzliche Worte schreiben müssen, die alles
erklärt hätten. Ist das Liebe, mein Schatz, wenn man gleich so reagiert?
Steht dieses Vorgehen im Einklang mit den vergangenen Wochen? Bitte
sei nicht trotzig wie ein verstocktes, kleines Kind, sondern sieh ein,
dass Du Unrecht hast und schäm Dich ein wenig.

Ich bin sehr froh, dass Dir Bäder und Luft dort gut tun
und ich freue mich riesig auf ein heiteres, gutes Wiedersehen. Ich
schrieb gestern keinen Brief, da ich ja glaubte, dass Du gestern hier
sein wirst und als dann am Nachmittag Deine knappe Mitteilung von
der Reiseverlängerung kam, schrieb ich zur Vorsicht auch nur eine
Karte.

Ich fuhr dann in die Stadt, bummelte durch das abendliche
Wien, traf später in der Stallburggasse Deinen Freund Schwarzkopf, der
mich zum 40iger geleitete und sehr nett war, ich finde ihn besser
aussehend, aber im Wesen sehr gealtert.

An meinem Stück habe ich einiges herumgearbeitet und
werde morgen Vormittag Frieda diktieren, die auch bei mir essen wird.
Lebwohl, Liebes, Du redest mir doch selbst ein, dass ich so wenig Fehler
habe – kannst Du nicht mit den wenigen etwas nachsichtiger sein? Ob¬
wohl ich in diesem Fall gar nicht sehe, wo mein Fehler war. Ich weiss,
ich schreib keine sehr klugen und literarischen Briefe, denn ich schreibe
mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf. Und so musst Du sie auch nehmen.
- Lieb wärs, wenn Du mir noch eine Zeile schicktest, der Brief ist ja
morgen bei Dir. Ich küsse Dich sehr, sehr. Deine C.K.