Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 27. August 1928

Semmering,27.8.1928.

An A.S. Hohenschwangau.

Mein Liebes,

ich habe eben mein Nachtmahl verzehrt – Schinkenbrot
und Bananen und beschliesse heute nicht mehr in die Halle hinüber
zu gehen. Als ich gestern eine halbe Stunde drüben war wurden mir
durch Dr. W. der Präsident Fall von der Südbahngesellschaft und seine
Gattin vorgestellt und es ist mir schrecklich zuwider neue Menschen
kennen zu lernen und schon gar solche, die ich mir nicht ge¬
wünscht habe.

Am Nachmittag war ich gestern auch einen Augenblick
drüben, um Geld aus meinem Depot zu holen und da sah ich Aslan und
ich glaube auch Moissi sitzen. Ich musste zweimal an ihnen vorbei
und jedes Mal sahen sie mich interessiert an und mir nach. Ich weiss
nicht, ob weil ich gut aussah oder im Zusammenhang mit Dir. Aber ich
glaube eher Deinetwegen. Aslan dürfte mich erkannt haben, obwohl ich
ihn nie gesprochen habe.

Meine Erholungsmöglichkeiten haben wohl ihren Höhepunkt
erreicht, wenn nicht überschritten. Ich bin abgebrannt und sehe sicher
frischer aus, was ich mehr an den Blicken anderer Leute, als durch
meine eigenen konstatiere. Aber das gewisse Aufgepulvertsein durch
die Veränderung der Umgebung ist stark im Abflauen und ich fühle,
dass ich sowohl durch die tiefgründigen Gespräche mit Emmy R., wie
durch das viele viele Alleinsein immer nervöser werde. Es wäre frei¬
lich wunderschön noch am Land bleiben zu können, nicht mit diesen
tristen paar Tagen den Sommer zu beschliessen. Aber das hätte nur
unter ganz anderen Voraussetzungen einen Sinn. Dein heutiger Brief
(vom 25.) klang auch wieder so traurig, so trostlos, dass es mir das
Herz zerreist. Lass mich über meine Empfindungen schweigen bis ich
Dich wieder in meinen Armen halte und dann – bedarf es keiner Worte.