Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 21. August 1928

Hohenschwangau, 21.8.1928.

Mein Liebes, ich will chronikalisch berichten: gestern Vormittag mit
Heini ein kleiner Spaziergang, Schwansee. Nachmittag fuhr ich nach Füs¬
sen; – wie ich eben ins Hotel will fährt ein Motormann samt Gattin
vor; – ein Lehrer aus Rosshäuptern, der in der Füssener Zeitung gelesen,
dass ich da sei und die Gelegenheit etc. etc.–Ich lass mir allerlei
über Schule und politische Verhältnisse in dieser Gegend erzählen; -
es scheint ganz gemütlich hier zuzugehen: der Herr Lehrer spielt auch
in Operetten mit, die Tochter des Herrn Schulrates ist seine Partnerin;
und in der Kirche spielt er Orgel.

Vergeblicher Versuch zu arbeiten; völlige innere Verödung.–Nach dem
Nachtmahl sitzen wir im Lesezimmer und lesen (ich das Disraelibuch
und Schloss von Kafka). -Tiefer Schlaf, trauriges Erwachen.

Heute Regen; gegen Mittag ein kleiner Spaziergang am See.

Gleich nach Tisch Deine beiden wahrhaft wohltuenden Briefe vom Sonntag.
Du wirst sehen, dass die Luft, die Höhe, der Wechsel der Umgebung schon
gute Wirkung haben werden. (Schöner – ist nicht nötig.)

Ich will mir meine Manuscripte hernehmen.-Was hilfts! Ich weiss sehr
tief von allem Guten, das mir vergönnt ist, vor allem von Deiner Liebe
und Güte. Ich fühle sie, fühle Dank und irgendwas wie Beruhigung
bin froh, dass Du auf der Welt bist.–Aber die Sehnsucht, die unerfüll¬
bare, unstillbare – die Ferne, die keiner fassen kann – nicht einmal ich
selbst – ist immer da.

Sei umarmt, mein geliebtes Wesen, Dein

A.