Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 29. Juli 1928

Sonntag, 29. Juli 1928. Wien.

Mein Liebstes, eben kam Dein Brief, den ich mit zitterndem Herzen
erwartet habe. So ist es also wahr, was ich vom ersten Augenblick
geahnt, gefürchtet hatte.

Vielleicht war es das nahezu Tragische, Unheimliche, das ich immer um
Lili fühlte, das mich diese ihre Wesensmöglichkeit ahnen liess-
Ich hatte sie lieb und vielleicht nicht nur, weil, sie Dein Kind war.
Es war ja eine so durchaus unglückliche Zuneigung, aber ich hatte
in den seltenen Fällen, da ich mit ihr zusammen war, die Empfindung,
ich möchte ihr eine Freundin sein, ihr helfen ihr klar machen, dass
das Leben auch ertragen, nicht nur gespielt werden muss. Sicher hatte
ich das nicht so deutl[i]ch gedacht, wie ich es Dir schreibe, aber et¬
was ähnliches ging in mir vor. Und doch vermag ich es heute nicht
zu fassen, dass sie Dir, Dir das antun konnte. Ist denn nicht einer ih¬
rer Gedanken zu Dir gegangen? Man hat nicht das Recht sein Leben
wegzuwerfen, wenn man so geliebt wurde wie sie. Man darf einem Men¬
schen, der einen liebt, nicht ein solches Leid zufügen.

Und darum, Liebstes, musst Du leben, musst gesund sein. Du weisst, was
Du mir bist und dass ich alles alles tun will, um Dir das Leben noch
lebenswert und manchmal auch schön zu gestalten.

Ich bin selbst mit meinen Nerven so fertig, dass ich heute nicht wei¬
ter kann. Ich küsse Deine geliebten Augen.

Deine Cl.K.