Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 21.–27. Juli 1928


mit Liliputbahn in den Wurstprater. Fülle und Leben. Wien steht
im Zeichen des Sängerfestes (Schubertfeier). Aus dem Rieseurad herun¬
ter tönt ein Waldhorn, Melodie der Volkshymne, es ist aber auch gleich¬
zeitig »Deutschland, Deutschland über alles«. Wir gingen Arm in Arm.
Um ¾ 1 nachhause.

22.7. Eine neue kleine Novelle angefangen nach einer impression vom
heurigen Sommer in Gardone. »Der blinde Barspieler«. Versuch grosser
Kürze, und direkt in die Maschine, oder richtiger mit der Schreibmaschine
geschrieben. Abend zuerst bei A. in der Dämmerung gesessen. Besonders
guter, zärtlicher Abend. Dann im Türkenschanzpark genachtmahlt. A.
mich mit Auto nachhause geführt.

23.7. Novelle weiter geschrieben. Am Abend bei Frieda P. im Cottage.
Recht gemütlich.

24.7. Meine kleine Novelle fertig. Sie mis[s]fällt mir nicht. Will den
Abend mit Otto und Anna verbringen.

25.7. Abend bei A., ihm meine Novelle vorgelesen. Sie gefällt ihm sehr.
Gutes,glückliches Zusammensein.

26.7. Ich bin trostlos. Telegramm aus Venedig. Lili erkrankt. A.
fährt morgen Früh mit Flugschiff hinunter. Wir haben noch keine Ahnung.
was geschehen ist. Letzter Brief vor zwei Tagen sehr vergnügt. Der
Gedanke, dass er bei der Hitze, in der Aufregung hinunterfährt, ist ent¬
setzlich. Es war eine zu glückliche Zeit.

27.7. Den gestrigen Abend werde ich nie vergessen. Ich wuss[te] schon
am Nachmittag durch einen Anruf der Frau M., dass Lili lebensgefährlich
erkrankt ist. Am Abend während ich bei A. war, Anruf aus Berlin von der
O., die auch schon ein Telegramm hat. Lili schwer erkrankt. Sie soll
kommen. Sie ist heute mit Flugschiff hieher gekommen und mit A. wei¬
tergeflogen. Und ich stehe da, abseits, kann nichts tun.

Der Schmerz dieses alten Mannes gestern war erschütternd. Was vermö¬
gen alle Worte, alle Zärtlichkeiten.