Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 30.11.–1.12.1927

An A.S. nach Berlin.

Wien, 30.11.1927.

Mein Liebes,

den ersten Brief habe ich heute Vormittag eigenhändig
um ½11 Uhr ins Kastel gesteckt, ehe ich zum Zahnarzt lief. Folgt der
wenig interessante Tagesbericht: Nach dem Zahnarzt zu Drecoll die
Weihnachtsokkasion besichtigen, um 4 Uhr zu Elias, der mich glänzend aus¬
sehen fand. Er bestellte mir von seiner Frau, dass sie von den Géraldy-¬
Gedichten entzückt ist und auch den Roman mit grossem Interesse liest.
Er hat mich absolut nicht zahlen lassen und sagte, mein Besuch sei nur
ein grosses Vergnügen für ihn. Von dort fuhr ich, (auf diese Ersparnisse
hin) mit einem Taxi zu meiner Schwester in die Alserstrasse. Es regnete
und stürmte einigermassen. In diesem Pensionszimmer würde ich ungern
auch nur eine Nacht verbringen. Neben ihr komme ich mir höchst unbe¬
scheiden und anspruchsvoll vor. Während meines Dortseins kam die Baro¬
nin Erb zu Besuch und nachher plauschten wir eine Weile noch allein
weiter. Ich bewundere vieles an Anna, anerkenne ihre Vorzüge und habe
sie auch von Herzen gern, aber ich fühle mich ihr so wesensfremd, dass
es mich immer verschlossen macht.–Frieda hat mich angerufen und wollte
mit mir in ein Kino gehen, aber da ich schon so zeitlich aus dem Hause
ging, war es mir für heute zu viel. Morgen kommt sie zum Diktat und
Freitag Abend wollen wir beisammen sein.

1.12.

Eben, mein Liebes, habe ich Deine Stimme gehört und fühle
mich Dir um Vieles näher. Es war sehr lieb von Dir mich anzurufen. Ich
habe heute sehr unruhig geschlafen und gegen Morgen einen schönen und
zärtlichen Traum gehabt. Und das Wetter ist wieder recht minder und
die Strassen schwimmen. Trotzdem gehe ich fort, da ich etliche Besorgun¬
gen habe. Ich umarme Dich sehr sehr innig. Deine

C.K.