Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 29.–30.11.1927

An A S. nach Berlin.

Wien, 29.11.1927.

Mein Liebes,

eigentlich habe ich noch gar keine Lust Dir zu schreiben,
aber ich tue es doch, damit ich den Brief morgen Früh absenden kann.
Es erscheint mir ganz sonderbar, dass Du jetzt auf einmal in Berlin
bist und irgendwie habe ich es noch nicht ganz zur Kenntnis genommen.
Wenn ich auch ganz genau weiss, dass Du nicht hier bist, so ist mir
der Gedanke, dass Du jetzt immer mit Menschen zusammen bist, die mir so
ferne stehen, noch nicht ganz vertraut. Von hier ist nur wenig zu berich¬
ten, habe mich gestern sehr intensiv mit der »Corday« beschäftigt, um
9 Uhr gebadet und dann noch im Bett mit viel Vergnügen Frank
Harris begonnen, viel dummes Zeug geträumt und etwas mürrisch er¬
wacht; einen Brief an meinen intelligenten Mieter geschrieben, der sich
wieder einiges zuschulden kommen liess, dann um ½12 zu Herys Direktor P.
Leider dort vernommen, dass Hery äusserst untüchtig ist und man ihm
bei allem Wohlwollen keine Aussichten machen kann. Direktor P. war von res¬
pektvollster Liebenswürdigkeit, nur trug er mir im letzten Augenblick
Grüsse an Dich auf, was ich etwas geschmacklos fand.

Jetzt werde ich wieder ein paar Stunden arbeiten und um 8 Uhr
erwarte ich Gisela B. zum Nachtmahl. Ueber dieses Zusammensein refe¬
riere ich später.

30. ½10 Uhr.

Der gestrige Abend war sehr nett. Gisela von 8-11 bei mir,
erzählte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Felix S. bei
seiner Thronbesteigung im Penklub ganz spontan mich als Mitglied vor¬
geschlagen habe und von den Géraldy-Gedichten sagte, sie seien sicher
nicht als eine Uebersetzung, sondern als Dichtung zu werten, da ein ge¬
druckter Band Grundbedingung bilde. Eine einzige Stimme habe Einspruch
erhoben; man könne bei aller Anerkennung keine Ausnahme machen. Sie
verriet mir nicht, wen die Stimme gehörte, aber es ist mir auch, wie Du