Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 22. Oktober 1927

Wien

22 Oktober 1927

Mein Liebes Kind, so einfach sind die Dinge doch nicht zu erledigen, die
einen andern Menschen in Herz und Seele treffen und es ist sehr traurig,
dass ich dir diese Zeilen schreiben muss. O[.] ist eben fort, und jetzt
dürfte ich wieder antreten und mit der Erinnerung an diese Zeit, mit der
Angst vor einer Wiederholung in mir, stellst Du dir ein Zusammenkommen
schön und beglückend vor? Oder soll die Qual, die Stimmung der letzten
Zeit andauern, bis wir darüber zu Grunde gehen?

Nie, bei allen Befürchtungen die ich schon heuer im Sommer hatte, habe
ich geahnt, dass eine Situation, wie die der letzten Wochen möglich sein
könnte, dass mir dein Haus wieder verschlossen sein wird und die O. wie
jeden dritten oder vierten Tag bei dir sein darf. Bitte betrachte es
doch einmal mit gütigen Augen: die Frau, die man angeblich liebt wird
gekränkt auf Rechnung jener, die vor 8 Jahren, mit einem andern fort¬
gegangen ist.

Du sagst; das sind »Äusserlichkeiten, Prestige-Fragen« Aber ich möch¬
te wissen, – wo die Innerlichkeiten sind, wo die Liebe zu suchen ist.

Ich habe durch drei volle Wochen zu allem geschwiegen, nicht mit der
Wimper gezuckt und als dann in der vierten und fünften Woche meine Ner¬
ven nachliessen und es dir noch immer nicht einfiel, mich mit ein paar
herzlichen Worten zu dir zu rufen und ich mir endlich meine Erregung
und Erbitterung anmerken liess – weniger »Lieb« zu dir war, da wur¬
de deine Reaktion sofort einige Kälte. Ja selbst als du mich durch einen
anonymen Brief (über die Besuche der O.) irritiert wus[s]test hattest du
nicht die kleinste Rücksicht nicht ein warmes Wort für mich. Wo soll ich
da die Liebe für mich entdecken? Damit allein dass man behauptet man lie¬
be ist doch noch nichts bewiesen, wenn alle Symptome dagegen sprechen.
Du sagst sehr richtig; du kannst nicht der Mutter deiner Kinder das
Haus verbieten und ich habe auch nie dergleichen von dir verlangt. Aber
zwischen dieser brutalen Geb[a]erde und dem Zustand wie er jetzt sich gel¬