Tagebuch von Clara Katharina Pollaczek, 3.–6. September 1927


mit einem Kuss zum Abschluss zu bringen aber das wäre unwürdig und würde wieder
Unklarheiten schaffen.–Ja er hat recht. Mit einem Kuss ist nichts getan.
Nur mit Worten die aus den Herzen kämen und überzeugen müssten. Aber die kann und
will er nicht finden. Ja,– er ist in mich verliebt und er braucht irgendwie meine
Liebe, aber er hängt an der andern braucht ihre affektierte Intelektualität u.
ihr ganzes Getue.

Verona. Scheusliches Hotel schmutzig verwa[h]rlost. Nach einer schlechten Nacht
Sehenswürdigkeiten angesehen. Die Stadt macht einen tristen Eindruck. Nichts¬
sagende Conversationen zwischen uns. Ich habe mich noch nie so sehr nach Hause
gesehnt. Ich werde aufahmen wenn ich wieder mein Zimmer betrete.

(Das Grab Julias ohne Ergriffenheit gesehen.)

Bis Mestre gemeinsame Fahrt. Auch der Abschied brachte keine Erlösung. Ich soll
einsehen – einsehen. Ich frage mich wie er sich diese Einsicht vorstellt. Ob
ich seine Liebe zu mir, an dem Eigensinn und der Wichtigkeit erkennen soll, mit
der er sich seine Freiheit im Verkehr mit seiner geschiedenen Frau sichert.
Er küsst mich auf die Augen, ich soll ohne Feindseligkeit seiner gedenken u.
wünscht ein gutes Wiedersehen. Ich bringe kein Wort über die Lippen. So trennen
wir uns. Es ist 2 Uhr. Morgen Früh um 8 Uhr zu Hause.

6 September. Zu Hause! zu Hause! Ein mir vertrauter lieber Raum um mich. Ich
athme auf. Ich weiss es ist nur ein vorübergehendes aufathnen – die bösen Gedan¬
ken werden erst kommen aber vorläufig liegen die vergangenen Tage wie ein böser
Traum hinter mir.

Meine Kinder telefonisch gesprochen. Mittag kommen Karry und Magdy morgen Hery
zu mir. Für morgen Abend habe ich alle drei zu mir gebeten. Und wenn sie mich
auch nicht mehr brauchen, sie gehören doch noch zu mir, – siewirklich. Oder
bilde ich mir das auch nur ein?