Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 16. August 1927

Schloss Neudorf bei Wildon

16.8.1927.

An A.S. nach Campiglio.

Liebster,

ich schreibe diese Zeilen in Erwartung der Morgenpost, die
gewöhnlich um 10 Uhr gebracht wird. Ich habe bisher nur Karte und Te¬
legramm und befinde mich daher über alles Weitere völlig im Unklaren.

Soviel ist sicher, dass ich, um nach Bozen zu fahren, mir ein
Auto von hier nach Wildon nehmen muss, da ich sonst um 5 Uhr aufstehen,
um 6 Uhr hier fortfahren müsste, um den einzigen Frühzug, der von Wildon
nach Graz abgeht, zu erreichen. Dafür hätte ich dann zwei Stunden in Graz
zu sitzen, was allein und in den Morgenstunden kein Vergnügen wäre. Ich
kann auch nicht um 5 Uhr Früh das Schloss rebellisch machen, von den per¬
sönlichen Unannehmlichkeiten ganz abgesehen. Alfred hat erklärt, ich
soll mir keine Sorgen machen, er werde mir jedesfalls ein Auto beschaf¬
fen.

Die vorgestrige Abendfahrt in dem schönen Korbwagen mit zwei
schneeweissen Lipizanern bespannt, war sehr reizvoll, nur mussten wir frü¬
her umkehren, da der Puls des Hausherrn sich beschleunigte. Seither reg¬
net es und ich habe das Haus nicht mehr verlassen. Gestern Vormittag
habe ich gelesen und dann lange in der Kapelle Orgel gespielt, was mir
ein grosses Vergnügen machte. Nach Tisch wieder ausgiebig geschlafen
bis mich der Gong zum Thee rief. Dann arrangierte ich Gesellschaftsspie¬
le zu Fünft, Sekretär- und Lexikon-Spiel. Und so verging die Zeit bis
8 Uhr und ich konnte mich nur noch rasch zum Abendessen umkleiden. Es
gab Krebse (Eigenbau), die ganz ausgezeichnet waren. Der weitere Abend
war etwas schläfrig und ich war froh um ½11 in mein Zimmer zu kommen.
Nun will ich hinunterschauen, ob Brief für mich da ist und dann diesen
hier fortsetzen. Ich bin auch neugierig, ob Du Filmnachrichten hast. Die
Antwort hätte ja gestern eintreffen sollen.

Wenn Du Fischer sprichst könntest Du erwähnen, dass mein