Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 23. April 1927

An A.S., Venedig.

Wien, 23.4.1927.

Liebster,

ich schreibe heute mit Tinte, obwohl ich natürlich noch im
Bett liege, aber mit Bleistift sieht meine Schrift noch grauslicher
aus. Ich habe seit vorgestern Mittag keinen Anfall mehr. Belladonna
scheint zu wirken, aber meine Nerven sind am Hund. Ich musste heute
Nacht zweimal Schlafmittel nehmen. Gestern Nachmittag habe ich Frieda
diktiert und sie kommt heute Vormittag, da uns noch drei Seiten übrig
blieben. Ich lese die »Girondisten« mit viel Vergnügen, ansonsten ist
meine Stimmung mässig. Draussen der herrlichste Frühlingstag und
ich sehne mich sehr nach Sonne. Es muss jetzt herrlich in Venedig sein.
Gondelfahrten! Ich wünsche Dir von ganzem Herzen sehr schöne, frohe
Tage dort. Aber Ihr könntet ja alle Venedig nicht ganz verstehen und
empfinden, weil Ihr dazu zu wenig phantastisch seid. Aber das ist mir
ganz recht, da ich sonst vielleicht auf Venedig selbst und die dortige
Stimmung eifersüchtig wäre. Zu berichten habe ich sonst nichts. Von
meiner Krankheit zu reden ist mir schon fad und mein Leben nicht gera-
de abwechslungsreich. Tage und Stunden kriechen recht einförmig dahin,
ich bin froh, dass ich keine argen Schmerzen habe und hoffe, das sie
nicht wiederkommen.

Lebwohl, Liebes, bleib gesund, ich umarme Dich.

Deine C.K.