Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 29. Juli 1926

Wien, 29.7.1926. 9 Uhr Früh.

An A.S., Adelboden.

Liebes, – ich bin schon fertig angekleidet und schreibe rasch ein paar
Zeilen an Dich, um sie später in die Stadt mitnehmen und in den Kasten
werfen zu können. Nun Bericht: Gestern Vormittag in der Stadt B. ge¬
troffen. Er übergab mir die »Else«, ich ihm ein französisches Buch, das
er mir vor langer Zeit geliehen hatte und ich nicht las. Er benahm sich
wieder ein bis[s]l dumm und ich erklärte, ich müsse zu Schostal, Trattnerhof,
wegen meines Kleides. Er wollte mich begleiten, was ich ablehnte. Später
am Heimweg traf ich Frieda P. und wir gingen zusammen weiter. Dann habe
ich fast den ganzen Tag den »Laudin« gelesen und habe schon Dreiviertel
des Buches geschluckt. Es hat mich mit Abneigung interessiert, worin glau¬
be ich kein Widerspruch liegt. Es ist ja grösstenteils brillant, in dem
richtigen Sinn dieses Wortes geschrieben, es glänzt, es funkelt, es blendet,
aber es fehlt der wirklich grosse Stil, weil die innere Wahrheit fehlt.
Feuerwerk, Effekte, aber kein wirklicher Brand, und nirgends Selbstverständ¬
lichkeit. Und wie in allen seinen Romanen nicht ein sympathischer Mensch.
Alles ist angefault, unappetitlich. Die einzige Figur, die »edel« sein
soll, ist blutleer und schattenhaft; »Pia«. Ich weiss noch nicht, was aus
ihr wird, aber bisher ist sie gar nicht. Sie ist nicht gestaltet, weil er sie
offenbar nicht gestalten kann. Vielleicht denk ich zum Schluss anders,
aber bisher ist nichts von ihr vorhanden und das Wenige Unnatur. Ueber
das Problem selbst liesse sich viel sagen,– vielleicht nächstens oder
mündlich.

Am Abend waren Herry und Carly zum Nachtmahl da. Es war sehr
gemütlich und wir plauschten bis 11. Das Wetter ist weiter kalt, trüb,
herbstlich. Gestern Abend 10 Grad, heute Früh ein eisiger Sturm, so dass
man kaum die Fenster öffnen kann, das nennt sich Hochsommer.–Gestern
habe ich kaum 10 Zeilen am 4. Kapitel geschrieben, aber heute will ich es
wieder versuchen. Vielleicht kommt schon morgen eine Zeile von Dir- es
könnte sein und ich wäre sehr froh. Schreib mir nur alles über Dich, was
mich irgend interessieren könnte. Bleib gesund. Es umarmt Dich Deine

C.K.